Tarean 03 - Ritter des ersten Lichts
nicht wusste, ob es existierte – geschweige denn, wo er es finden sollte. Moosbeeres Heimat …
Bring mich nach Hause , hatte ihm das Irrlicht zugeraunt, während es sich in einer geheimen Kammer tief im Schoß der Dunkelreiche in Gestalt einer Menschenfrau an ihn geklammert und all seine Kraft durch den Leib des Jungen hindurch in Kesrondaias Herz hatte fließen lassen, den Sternkristall, mithilfe dessen Tarean das Siegel, das die Kristalldrachen einsperrte, zu brechen gehofft hatte. Ohne Moosbeeres Beistand wäre er darin gescheitert, denn Ghorca’than, der Herr der Tiefe, hatte das Siegel mit solch furchtbarer Macht ausgestattet, dass selbst das magische Herz eines Kristalldrachen nichts dagegen ausrichten konnte. Nur dank der Kraft des Irrlichts war es Tarean am Ende gelungen, die Kinder Kesrondaias zu befreien.
Aber der Sieg über den Herrn der Tiefe und seinen unseligen Schüler Calvas, den Tarean bereits einmal getötet hatte und der dennoch zurückgekehrt war, hatte einen schalen Beigeschmack gehabt, denn er hatte Moosbeere das Leben gekostet. Schon einmal hatte sich das Irrlicht für Tarean geopfert. Damals im Thronsaal des Hexers während der Schlacht um At Arthanoc, als Calvas den Jungen mit einer tödlichen magischen Entladung umzubringen gedachte, war Moosbeere herangeeilt und hatte den Blitz mit ihrem winzigen Leib abgefangen. Nur diesmal, nach der Befreiung der Kristalldrachen, war es dem Jungen nicht möglich gewesen, seine winzige Gefährtin mithilfe der Alten Macht wieder ins Leben zurückzurufen. Diesmal war ihr Opfer endgültig gewesen.
Es ist schon gut, mein Geliebter , hatte sich Moosbeere von ihm verabschiedet. Sie hatte ihn ihren Geliebten genannt – das erste Mal überhaupt, seit sie sich kannten. Welch bittere Ironie des Schicksals, dass wir auseinandergerissen wurden, kaum dass wir zusammengefunden hatten , dachte Tarean – und das nicht zum ersten Mal seit jenem unheilvollen Tag. Wie viele Monde sind wir gemeinsam unterwegs gewesen? Erst habe ich in ihr nicht mehr als ein vorwitziges kleines Ding gesehen. Dann trat Auril in mein Leben. Schließlich erfuhr ich, dass Moosbeere mehr sein könnte als nur ein handtellergroßes Irrlicht. Danach hatte fortwährende Verwirrung in seinem Herzen geherrscht. Mal hatte er sich zu Moosbeere, mal zu Auril hingezogen gefühlt. Und keine der beiden hatte ihm die Entscheidung leicht gemacht. Beide waren ihm zur gleichen Zeit nah und schier unendlich fern erschienen. Auril war sich ihrer Zukunft mit Tarean nicht sicher gewesen und hatte daher nach ihrem Wiedersehen im Frühjahr achtsame Distanz gewahrt. Moosbeere dagegen … nun, Moosbeere war ein Irrlicht und ähnelte damit in Tareans Augen der sprichwörtlichen Taube auf dem Dach, denn so wunderbar sie auch sein mochte, ein normales Leben war mit ihr nicht möglich. So zumindest war es Tarean lange Zeit erschienen.
Und dann hat Gongathar alles verändert … Auf ihrem Weg in den Süden hatte Tarean gemeinsam mit Bromm auf der Flucht vor den wilden Kazzach in einem der unheimlichen Türme der verlassenen Stadt inmitten der Steppe von Nondur Zuflucht gesucht und dabei eine uralte Macht geweckt, die ihn auf irgendeine unbegreifliche Art und Weise zweigeteilt hatte. Zunächst hatte Tarean nur bemerkt, dass er seine Liebe für Auril verloren hatte. Als dann jedoch unvermittelt ein Zwillingsbruder von ihm auf der Bildfläche erschienen war, wurde dem Jungen das Ausmaß des Geschehens erst richtig bewusst. Zwei Herzen hatten bis zu diesem Moment in seiner Brust geschlagen. Gongathar riss sie auseinander und pflanzte sie in zwei verschiedene Körper.
Irgendwie hatte er stets einen gewissen Widerwillen empfunden, dieses unheilige Wirken der verborgenen Mächte Gongathars gutzuheißen, doch er musste sich eingestehen, dass er für einige kurze Tage tatsächlich beinahe glücklich gewesen war. Sein Zwilling und Auril hatten zusammengefunden. Und er selbst hatte erkannt, dass es ihm gleichgültig war, ob Moosbeere ein Irrlicht war oder nicht und ob sie ihm als Menschenfrau gegenüberzutreten vermochte oder ihn handtellergroß umschwirrte. Er hatte in ihr die Gefährtin erkannt, die ihm immer treu zur Seite gestanden hatte, die ihn mit ihrer Lebhaftigkeit zum Schmunzeln gebracht und mit ihrer Weisheit in Erstaunen versetzt hatte. Und schließlich hatte er ihr in der Siegelkammer in den Dunkelreichen seine Liebe gestanden.
Dann war sie gestorben – genauso wie Tareans Zwilling.
Hab keine Angst. Bring mich
Weitere Kostenlose Bücher