Tarean 03 - Ritter des ersten Lichts
Steppe. Der volle Mond stand am Himmel, und ein Firmament, an dem Tausende von Sternen glitzerten, wölbte sich hoch über seinem Kopf von Horizont zu Horizont. Schweigend und in Gedanken versunken saß er da, und weil er den Blick stets in die tanzenden Flammen gerichtet hielt, bemerkte er zunächst gar nicht, wie sich Wolken am Himmel zusammenzogen. Es war ein schleichender, lautloser Vorgang, wie wenn Nebel am Morgen aus einem See aufsteigt. Kein Windhauch warnte ihn vor der kommenden Veränderung. Und so erschrak Tarean regelrecht, als er das nächste Mal aufschaute, denn die Sterne waren verschwunden und der Mond war nicht mehr als eine fahle Scheibe hinter einem Schleier aus schwarzem Dunst. Mit klopfendem Herzen ließ er den Blick über die Steppe schweifen, die mit dem Abnehmen des Mondlichts in der Dunkelheit der Nacht versunken war. Plötzlich gab es nur noch ihn, das Lagerfeuer und einen Kreis aus Licht, der sich kaum zehn Schritt weit um ihn herum erstreckte. Ein dumpfes Gefühl der Angst überkam ihn, ein Grausen vor der Finsternis, das keinen erkennbaren Grund hatte.
Als er sich erneut dem Feuer zuwandte, weiteten sich seine Augen, denn er erkannte, dass es im Begriff war zu erlöschen. Er hatte nicht genug Holz gesammelt, um es am Leben zu erhalten. Panik stieg in ihm auf, als die Flammen kleiner wurden und mit ihnen auch der Kreis aus Licht, der ihn vor der geradezu stofflichen Schwärze schützte, die sich um ihn herum zusammenzog, wie die Schlinge um den Hals eines zum Tode Verurteilten. Er sprang auf und sah sich hektisch um, doch nirgendwo lagen tote Äste oder anderes brennbares Material herum. Der Mond war mittlerweile vollständig verschwunden. Am Himmel herrschte tiefe Finsternis, und auch seine kleine Oase aus Licht drohte von den Schatten verschlungen zu werden. Der Gedanke versetzte Tarean in Todesangst. Esdurial , zuckte es ihm durch den Kopf. Seine Hand fuhr zum Griff des machterfüllten Schwerts an seiner Hüfte, und er zog es aus der Scheide. Ohne sein Zutun begann die runenverzierte Klinge unvermittelt zu glühen, so als sei sie sich der Gefahr bewusst, in der ihr Träger schwebte. Doch bevor sie zu fauchendem Leben erwachen konnte, bildeten sich auf einmal Arme aus schwarzem Dunst in der Wand aus Dunkelheit, die den Jungen umgab. Arme, die nach ihm griffen …
Ein schriller Schrei riss Tarean aus seinem Albtraum. »Ein Dunkelgeist!«, gellte ein helles Stimmchen, das nur Moosbeere gehören konnte.
Von einem Lidschlag zum nächsten war er hellwach. Bevor er auch nur einen klaren Gedanken gefasst hatte, war er bereits auf den Beinen, hatte Esdurial in der Hand und sah sich mit weit aufgerissenen Augen um. Moosbeere, die über ihren Schlaf gewacht hatte, war einige Schritt weit den Hang hinaufgeflohen. Ihre Aura strahlte in der Aufregung so stark, dass weite Teile des Trichters erhellt wurden. Über dem Wasser unweit der Stelle am Ufer, an der sie lagerten, bildete sich schwarzer Nebel, ein wallender Dunst, der aus dem Nichts zu kommen schien und immer dichter wurde, während er zugleich mit erschreckender Schnelligkeit zusammenfloss und dabei die Form einer furchtbar ausgemergelten, vage menschlichen Gestalt annahm. »Dreigötter!«, fluchte Tarean, der sich noch lebhaft an seine letzte, beinahe tödliche Begegnung mit einem der lebendigen Schatten in den Wäldern von Thal erinnern konnte. »Iegi, Janosthin, wir müssen hier weg! Sofort!«
Den Taijirinprinzen musste er nicht zweimal bitten. Dieser raffte bereits Harnisch und Waffen zusammen und hastete auf die Greifen zu, die unruhig krächzten und mit den Flügeln schlugen. Der Sette war etwas langsamer. »Blitzschlag und Erdsturz, was ist denn nun los?«, murmelte er, während er sich schlaftrunken aufrichtete.
»Ein Dunkelgeist hat uns gefunden!«, rief Tarean und rannte zu dem Gefährten hinüber, um ihn hochzuzerren und mit sich zu schleifen. »Komm schnell.«
Janosthin riss die Augen auf und fluchte in seinen Bart hinein. Er packte den langen Stiel seines mächtigen Hammers. »Flieht«, knurrte er. »Arev und ich halten ihn so lange auf.«
»Du kannst nicht gegen einen Dunkelgeist kämpfen«, rief Tarean, während er den Setten auf Ialshi zuschob. »Ich habe es in Thal versucht. Er hat die Macht von Esdurial einfach in sich aufgesogen.« Er warf einen Blick über die Schulter. Der Geist hatte mittlerweile seine endgültige Form erreicht. Es war ein hoch aufgeschossener, schlaksiger Schemen mit unmöglich langen Gliedern und
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