Tarzan 04 - Tarzans Sohn
stürzte Meriem in tiefe Verzweiflung, denn sie hatten Kovudoos Dorf verlassen vorgefunden. Auch hatten sie keinen einzigen Eingeborenen in der Umgebung entdecken können, so sehr sie auch suchten. Er hatte eine Zeitlang in der Nähe des Dorfes ein Lager aufgeschlagen und Tage damit verbracht, die Gegend ringsum nach Spuren von Meriems Korak abzusuchen. Aber auch hierbei war der Erfolg ausgeblieben. Er hatte weder Affen noch den Affenmenschen gesehen. Meriem war zunächst fest entschlossen, sich selbst auf die Suche nach Korak zu machen, aber Bwana bestand darauf, daß sie noch wartete. Er sicherte ihr zu, selbst loszugehen, sobald er Zeit finden würde, und Meriem willigte schließlich ein, seinem Wunsch zu entsprechen. Gleichwohl vergingen Monate, ehe sie aufhörte, fast stündlich um ihren Korak zu trauern.
My Dear trauerte mit ihr und tat ihr bestes, sie zu trösten und aufzuheitern. Sie sagte: Sollte Korak noch leben, werde er sie bestimmt finden, doch sie war fest überzeugt, daß dieser nur in der Einbildung des Mädchens existiere. Sie ersann so manche Vergnügungen, um Meriem von ihrem Schmerz abzulenken, und führte eine wohldurchdachte Kampagne durch, um dem Kind bewußt zu machen, wie wünschenswert eine zivilisierte Lebensweise und ihre Bräuche seien. Das war nicht sonderlich schwierig, wie sie in Kürze erfahren sollte, denn sehr bald schon trat zutage, daß unter der ungeschliffenen Wildheit des Mädchens Urgestein einer angeborenen Vornehmheit lag – eine Verfeinerung des Geschmacks und eine Vorliebe für viele Dinge, die der ihrer Lehrmeisterin gleichkam.
My Dear war begeistert. Sie war allein und hatte keine Kinder, so wandte sie all ihre Mutterliebe, die sie sonst eigenen Kindern gewidmet hätte, dieser kleinen Fremden zu, mit dem Ergebnis, daß niemand nach Ablauf eines Jahres hätte ahnen können, Meriem habe jemals ein Leben ohne Kultur und Luxus geführt.
Sie war jetzt sechzehn Jahre alt, obwohl sie durchaus für neunzehn hätte gelten können, und sie sah sehr gut aus mit ihrem schwarzen Haar, ihrer gebräunten Haut und dem frischen, gesunden Charme der Unschuld. Dennoch hegte sie insgeheim noch tiefen Schmerz, wenngleich sie sich gegenüber My Dear nie dazu äußerte. Kaum eine Stunde verging, ohne daß sie an Korak dachte und brennende Sehnsucht nach ihm empfand.
Meriem sprach jetzt fließend Englisch und las und schrieb es auch sehr gut. Eines Tages redete My Dear sie im Scherz auf französisch an, und zu ihrer Überraschung antwortete ihr Meriem auf gleiche Weise, langsam zwar und zögernd, dennoch in ausgezeichneter Form, wie ein kleines Kind es sprechen würde. Danach unterhielten sie sich jeden Tag auch ein wenig auf französisch, und My Dear wunderte sich oft, daß das Mädchen diese Sprache mit einer Leichtigkeit lernte, die zuweilen fast übernatürlich erschien. Zuerst runzelte Meriem ihre hochgezogenen, kleinen Augenbrauen, als versuche sie krampfhaft, sich an etwas zu erinnern, das sie vergessen hatte und das beim Klang der neuen Laute in ihr jedoch wieder lebendig wurde. Dann gebrauchte sie zu ihrer eigenen Überraschung wie zu der ihrer Lehrerin andere französische Worte, die gar nicht in den Lektionen standen – sie wendete sie richtig an und mit einer Aussprache, die die der Engländerin übertraf. Indes konnte sie, was sie so gut sprach, weder lesen noch schreiben, und da My Dear die richtige Beherrschung der englischen Sprache als vorrangig ansah, wurde ein über die Konversation hinausgehendes Studium des Französischen auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.
»Du hast zweifellos in deines Vaters Beduinendorf ab und zu Französisch gehört«, äußerte My Dear als einleuchtendste Vermutung.
Meriem schüttelte den Kopf. »Mag sein, doch ich entsinne mich nicht, jemals einen Franzosen in seiner Begleitung gesehen zu haben«, sagte sie. »Er haßte sie und wollte nichts mit ihnen zu tun haben, und ich bin mir ziemlich sicher, diese Worte nie zuvor gehört zu haben, gleichzeitig kommen sie mir alle sehr vertraut vor. Ich kann es mir nicht erklären.«
»Mir geht es genauso«, pflichtete My Dear bei.
Etwa zur gleichen Zeit brachte ein Bote einen Brief, und als Meriem erfuhr, was darin stand, war sie ganz aufgeregt. Besuch war angesagt! Einige englische Ladies und Gentlemen wollten auf My Dears Einladung einen Monat bei ihnen verbringen, um zu jagen und die Gegend zu durchstreifen. Meriem konnte ihre Ankunft kaum erwarten. Wie würden diese Fremden sein? Würden
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