Tarzan 04 - Tarzans Sohn
Verstecke verfolgen. Was alle anderen jedoch am meisten verblüffte, war die Tatsache, daß sie sofort spürte, wenn ein Raubtier in der Nähe war, und das zu einem Zeitpunkt, da die anderen selbst bei Anspannung aller Sinne es weder hören noch sehen konnten.
Der ehrenwerte Morison Baynes sah in Meriem eine berückend schöne und charmante Begleiterin. Er war vom ersten Augenblick begeistert von ihr. Möglicherweise lag der Grund darin, daß er auf dem afrikanischen Besitztum seiner englischen Freunde solche Gesellschaft nicht erwartet hatte. Sie waren sehr oft zusammen, da sie die einzigen Unverheirateten in der kleinen Gruppe waren. Meriem war den Umgang mit Leuten wie Baynes überhaupt nicht gewöhnt und deshalb fasziniert von ihm. Seine Erzählungen aus den großen, lebenssprühenden Städten, in denen er sich umgetan hatte, weckten bei ihr Bewunderung und Erstaunen. Wenn der ehrenwerte Morison in diesen Erzählungen stets außerordentlich gut wegkam, so sah sie darin nur die höchste natürliche Folge seiner Anwesenheit auf dem Schauplatz der Geschichte – wo immer er war, er mußte ein Held sein, glaubte sie.
Bei ihrem ständigen Umgang mit dem jungen Engländer verlor das Bild von Korak an Konturen. War es zuvor für sie Realität gewesen, so erkannte sie jetzt, daß Korak nur eine Erinnerung war.
Dieser war sie durchaus treu, aber welches Gewicht hat eine Erinnerung angesichts einer faszinierenden Wirklichkeit?
Seit dem Eintreffen der Gäste hatte Meriem die Männer nie bei der Jagd begleitet. Sie hatte nie viel übrig gehabt für diesen Sport des Tötens. Die Spurensuche bereitete ihr Vergnügen, nicht jedoch das Töten um des Tötens willen – dafür konnte sie, die kleine Wilde, die sie gewesen und in gewissem Sinne geblieben war, sich nicht erwärmen. Ging Bwana los, um Wild für die Fleischversorgung zu schießen, begleitete sie ihn stets mit Begeisterung. Doch mit dem Eintreffen der Londoner Gäste war das Jagen zu bloßem Töten verkommen. Tiere niederzumetzeln ließ der Gastgeber nicht zu, aber nun galt die Jagd den Köpfen und Fellen und nicht der Beschaffung von Fleisch. So blieb Meriem zurück und verbrachte die Tage entweder mit My Dear auf der schattigen Veranda, oder sie ritt auf ihrem Lieblingspferd über die Ebene oder zum Waldrand. Hier ließ sie es frei laufen, während sie sich in die Bäume schwang, um einige Augenblicke ungeschmälerten Vergnügens zu genießen und die wilde, freie Existenz ihrer frühen Kindheit erneut heraufzubeschwören.
Dann sah sie Korak wieder vor sich, und wenn sie schließlich müde war vom Umherspringen oder sich durch die Bäume Schwingen, streckte sie sich behaglich auf einem Ast aus und träumte. Dann geschah es wie auch heute, daß sich die Umrisse des Bildes von Korak langsam auflösten und in anderen aufgingen, und die Gestalt des sonnengebräunten, halbnackten Tarmangani verwandelte sich in einen khakitragenden Engländer auf einem Jagdpferd.
Als sie träumte, drang aus weiter Ferne ganz schwach das ängstliche Meckern eines Zickleins an ihr Ohr. Im Nu war sie hellwach. Sie und ich hätten uns diesen Laut schwerlich erklären können, selbst wenn wir in der Lage gewesen wären, das erbärmliche Klagen aus so weiter Ferne zu vernehmen. Für Meriem bezeichnete es jedoch eine bestimmte Art von Schrecken, wie er Wiederkäuer befällt, wenn ein Raubtier in der Nähe und ein Entkommen unmöglich ist.
Für Korak war es immer ein besonderes Vergnügen und ein Sport gewesen, Numa die Beute wegzunehmen, wann immer es möglich war. Meriem hatte den Nervenkitzel gleichfalls oft genossen, Löwen einen besonderen Leckerbissen geradewegs vor der Nase zu stibitzen. Als sie jetzt das Zicklein meckern hörte, kam ihr die damalige Empfindung wieder in Erinnerung. Sofort war sie ganz versessen, das Versteckspiel mit dem Tod noch einmal zu erleben.
Geschwind löste sie ihren Reitrock und schleuderte ihn beiseite – er war für eine erfolgreiche Fortbewegung in den Bäumen ein beträchtliches Hindernis. Schuhe und Strümpfe folgten, denn die bloße Fußsohle gleitet an trockener oder auch nasser Rinde nicht ab, wie das harte Leder eines Stiefels. Gern hätte sie auch die Breecheshosen ausgezogen, doch die mütterliche Ermahnung von My Dear hatte sie überzeugt, daß es kein guter Stil war, unbekleidet durch die Welt zu gehen.
An ihrer Hüfte hing ein Jagdmesser. Das Gewehr steckte noch im Halfter am Widerrist des Pferdes. Einen Revolver hatte sie nicht
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