Taschenlehrbuch Biologie - Evolution - Oekologie
zwischen trophischen Ebenen oft nicht anwendbar sind. Auch Charakteristika der Populationen und der Struktur des Biotops können die Bedeutung von Bottom-up- und Top-down-Prozessen steuern. In Bodenökosystemen wird oft von einer Top-down-Kontrolle der auf Bakterien basierenden Nahrungskanäle und einer Bottom-up-Kontrolle der auf Pilzen basierenden Nahrungskanäle ausgegangen.
Abb. 4. 17 Top-down-Kontrolle. a Top-down-Kontrolle von Pflanzen: Kaninchen ( Oryclolagus cuniculus ) können Pflanzen sehr effektiv abweiden und z. B. den Unterwuchs von Wäldern weitgehend eliminieren. So hatte die Einführung von Kaninchen nach England drastische Auswirkungen auf die Pflanzengemeinschaft; hier ein Laubwald, in dem durch einen Zaun Kaninchen ausgeschlossen wurden (hintere Bildhälfte). b Top-down-Kontrolle von Tieren: Im Küstenbereich von marinen Hartböden bilden Miesmuscheln (hier Mytilus californianus ) oft ausgedehnte Bänke. Als wichtigste Räuber in Miesmuschelbänken fungieren Seesterne (hier Pisaster ochraceus ), die durch Fraß von Miesmuscheln Lebensraum für andere sessile Tierarten und Algen schaffen (Keystone-Prädation). An der Pazifikküste Nordamerikas wurde dieses Räuber-Beute-System intensiv untersucht, was zu grundlegenden Einsichten in Regulationsmechanismen von komplexen Tiergemeinschaften geführt hat. (Fotos von Stefan Scheu, Göttingen.)
Hypothese der Grünen Welt (green-world hypothesis) und trophische Kaskaden. Klassische Arbeiten zu trophischen Ebenen postulierten, dass die Welt grün ist, da Toparten (Carnivore) die Intermediärarten (Herbivore) kontrollieren, sodass die Basalarten (grüne Pflanzen) vom Top-down-Druck befreit sind und zu hohen Biomassendichten kommen. Nur bei ausreichender Energieverfügbarkeit für die Nahrungskette erlangen die Toparten eine Biomassendichte, die zur Kontrolle der Intermediärarten ausreicht. Eine zunehmende Produktivität des Ökosystems könnte die Basalarten demzufolge zweifach fördern: durch bessere Wachstumsbedingungen und durch Top-down-Kontrolle der Intermediärarten. Der Effekt der Topart über die Intermediärart auf die Basalart einer Nahrungskette wird auch als trophische Kaskade im engeren Sinne bezeichnet. Klassische Arbeiten zeigten, dass die experimentelle Entfernung von Fischen aus Biozönosen zu einer Zunahme des herbivoren Zooplanktons und einer Abnahme des Phytoplanktons führte. Die Hypothese, dass trophische Kaskaden vor allem in aquatischen Ökosystemen auftreten, wurde durch neuere Arbeiten in terrestrischen Ökosystemen nicht unterstützt.
4.3.3 Nahrungsnetze
In natürlichen Biozönosen existieren in der Regel weder isolierte Räuber-Beute-Paare noch einzelne Nahrungsketten (Abb. 4. 15 und Abb. 4. 16 ). Die Koexistenz vieler Konsumentenarten führt zur Vernetzung von Nahrungsketten . Außerdem gibt es Konsumenten, die Beute von verschiedenen trophischen Ebenen (z. B. Primär- und Sekundärkonsumenten) konsumieren. Diese Konsumenten werden als Omnivore bezeichnet. Diese Verbindung von zahlreichen Nahrungsketten und die Verbindung von Nahrungsketten über Omnivorie führen zu komplexen trophischen Netzwerken, sogenannten Nahrungsnetzen . Diese Netzwerke bestehen aus den Populationen der Biozönose, die die Knotenpunkte des Netzwerkes bilden, und ihren Konsum-Interaktionen, also den Verbindungen oder Links zwischen diesen Knotenpunkten (Abb. 4. 16 ).
Die Struktur oder Topologie von komplexen Nahrungsnetzen wird primär durch die Zahl der interagierenden Populationen ( S ) und die Komplexität ihrer Vernetzung beschrieben. Drei Maße der Komplexität werden häufig verwendet: (1) die Zahl der Links ( L ), (2) die Zahl der Links pro Art ( L / S ) (Verhältnis zwischen der Zahl der Links und der Zahl der Populationen im Netzwerk) und (3) der Verlinkungsgrad (connectance) (Abb. 4. 18 ). Der Verlinkungsgrad beschreibt das Verhältnis zwischen der real existierenden Anzahl der Links ( L ) und der theoretisch maximal möglichen Anzahl an Links. In einem maximal verlinkten Nahrungsnetz konsumiert jede Art alle anderen Arten – einschließlich sich selbst. Deshalb kann die maximale Anzahl an Links als die quadrierte Artenzahl ausgedrückt werden ( S 2 ), und der Verlinkungsgrad eines Nahrungsnetzes wird als Verhältnis der realen Anzahl der Links zur quadrierten Artenzahl ausgedrückt: C = L / S 2 .
Abb. 4. 18 Komplexe Nahrungsnetze. a Skipwith Pond, ein saures Moorgewässer in England, mit 25 Arten ( S ), 198 Links ( L ), 7,9 Links pro Art
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