Taschenlehrbuch Biologie - Evolution - Oekologie
kurzzeitige Vergrößerung der Diversifikationsrate geschehen. Letztere Ereignisse nennen wir adaptive Radiationen (s. u.), in denen meist mehrere Kladogeneseereignisse in einem sehr kurzen Zeitraum geschehen. Danach folgt meist eine Stagnation ( Stasis ). In phylogenetischen Studien werden die Ereignisse meist als nur unzureichend aufzulösende Polytomien erkannt.
Mikroevolutionäre Prozesse sind weniger klar zu fassen. Auch hier kann es zu einer Stasis kommen. Diese kann mit stabilisierender Selektion verbunden sein, während gerichtete Selektion zur Ausbildung von Entwicklungstrends in einer Art führt. Disruptive Selektion kann im Zusammenhang mit der Auftrennung einer Art stehen und spielt wohl eine Rolle in sympatrischen Artbildungsvorgängen. Im Prozess der allopatrischen Evolution ist Selektion hingegen nicht notwendigerweise direkt involviert. Die Veränderungen innerhalb einer Art in der Zeit nennen wir Anagenese und stellen sie der Kladogenese, der Aufspaltung von Arten, gegenüber.
Nicht alle innerartlichen Veränderungen sind notwendigerweise ein Resultat natürlicher Selektion. Die Evolution kann hier auch durch stochastische Vorgänge beeinflusst werden. Dieser Vorgang wird allgemein als Genetic Drift bezeichnet. Hierbei kommt es zur Ausbildung einer geographischen Verteilung von Genvarianten (Allele), bei der zufällig die Häufigkeit an Varianten in geographisch isolierten Populationen zu- bzw. abnimmt. Manche Allele können in isolierten Populationen völlig fehlen. Diese Unterschiede in der Häufigkeit der Allele sind nicht durch unterschiedliche Selektionsprozesse bedingt, sondern entstehen als Produkt der geographischen Distanz, die eine Panmixis , d. h. die uneingeschränkte Reproduktion zwischen allen Mitgliedern einer Art, einschränkt. Solche diskontinuierlichen Verteilungen entstehen meist bei Ausbreitungsprozessen, da die genetische Variation in dem neu besiedelten Gebiet von der Zahl der dort siedelnden Individuen abhängt. Die neu gegründeten Populationen haben nur eine Teilmenge der gesamten genetischen Vielfalt der Art. Wir sprechen auch von einem Gründereffekt , da die genetische Vielfalt der ersten Kolonisatoren die Diversität der Tochterkolonien überproportional beeinflusst. Je größer die Distanz zwischen Ursprungsgebiet und neu besiedeltem Gebiet, um so stärker kann dieser Gründereffekt und die Einschränkung der Panmixis sein. Die reduzierte Zahl von genetischen Varianten kann zu einer Beschleunigung der Durchsetzung neuer Varianten in diesen Populationen führen.
Eine Besonderheit stellen adaptive Radiationen dar. Bei diesen Vorgängen kommt es nicht nur zu einer Aufsplitterung in zwei Tochterlinien wie bei der Kladogenese, sondern zu einer Aufspaltung in mehrere Arten in einem kurzen Zeitraum. Adaptive Radiationen können als eine Anhäufung von kladogenen Vorgängen in einem kurzen Zeitraum angesehen werden, wobei diese Vorgänge überlappen. In einem phylogenetischen Baum, der mithilfe von DNA-Sequenzen erstellt wird, sind adaptive Radiationen kaum oder gar nicht aufgelöst und erscheinen als Polytomien. Das ist dadurch bedingt, dass die Zeitspanne zwischen den Kladogenesen für eine Akkumulation von Substitutionsereignissen unzureichend ist. Zudem treten häufig plesiomorphe Polymorphien auf, die zu Konflikten in der phylogenetischen Analyse führen. Die Radiationen können adaptive Aspekte haben, wobei die Tochterarten verschiedene ökologische Anpassungen zeigen. Adaptive Radiationen sind besonders häufig für ozeanische Inseln belegt, da die geographische Isolation als eine Art Filter wirkt und das Ankommen neuer Arten stark reduziert. Dies reduziert die Konkurrenz und ermöglicht es den Neuankömmlingen, Habitate zu besiedeln, die in ihrem Ursprungsgebiet durch andere Arten besetzt sind. Das klassische Beispiel für eine adaptive Radiation sind die Darwinfinken auf den Galapagosinseln (Abb. 7. 4 ). Diese Finken erreichten wohl nur einmal die sehr isolierten Galapagosinseln und fanden dort eine Reihe von Lebensräumen vor, die ihnen eine erfolgreiche Vermehrung erlaubten. Dabei haben sich Tochterarten ausgebildet, die sich in der Größe, dem Verhalten und vor allem der Struktur des Schnabels unterscheiden. Diese Arten nutzenverschiedene Nahrungsquellen wie Insekten und Samen. Die Schnabelstruktur hat sich dabei an die Unterschiede der Nahrung angepasst. Ein weiteres berühmtes und gut untersuchtes Beispiel für adaptive Radiationen sind die Buntbarsche der
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