Taschenlehrbuch Biologie - Evolution - Oekologie
Ereignisse.
Die derzeit sehr populäre Phylogeographie beschäftigt sich vor allem mit den Ereignissen, welche die derzeitige Verbreitung einer Art bestimmen. Es handelt sich bei der Phylogeographie also um eine Anwendung der Populationsgenetik zur Rekonstruktion der Entstehung räumlicher Verteilungen von Arten. So kann mithilfe phylogeographischer Verfahren geprüft werden, wo die Vorfahren der heutigen mitteleuropäischen Pflanzen- und Tierwelt während der pleistozänen Vereisungen (Eiszeiten) überlebten, d. h. wo ihre Rückzugsräume (Refugien) waren. Außerdem können die Wege der Rückeroberung während der Erwärmung im Laufe des Holozäns rekonstruiert werden.
7.4.3 Taxonomie und Systematik
Wie kaum eine andere Disziplin in der Biologie sind die Disziplinen der Systematik und Taxonomie mit der Evolutionsbiologie zu einer steten fruchtbaren Interaktion verbunden. Die Evolutionstheorie bildet die theoretische Grundlage für die natürliche Klassifikation bzw. die Abtrennung von Arten. Eine Systematik ohne Evolution produziert künstliche Klassifikationen , während eine Taxonomie ohne Evolution ihre Objekte aufgrund von künstlich ausgewählten Gemeinsamkeiten bzw. Unterschieden benennt. Erst durch die Evolutionstheorie bekommen diese Disziplinen also eine wissenschaftliche Grundlage. Dabei erfährt die Systematik eine Umwandlung in eine Phylogenetik. Dieser Wandel wurde mithilfe der Ideen von Willi Hennig vollzogen. Ein ähnlicher Wandel ist im Bereich derTaxonomie noch nicht abgeschlossen. Hier bahnt sich eine Integration von populationsgenetischen und phylogenetischen Verfahren an. Im Gegenzug wurden viele Belege für die Evolutionsbiologie gerade von der Systematik geliefert.
Die größte Bedeutung der Evolutionstheorie für die Systematik war die Ablösung der Stufenleiter als Fundament der Klassifikation. Die Stufenleiter beruht auf den philosophischen Einsichten von Platon und Aristoteles. Sie ordnet die organismische Vielfalt entweder absteigend oder aufsteigend in einem linearen System an. Diese künstliche Anordnung wird in der modernen Systematik durch ein natürliches System, abgelöst, das die Entfaltung des Lebensbaumes nachvollzieht. Gleichwertige Aufsplittungen (Kladogene) sind die Grundbausteine eines solchen Systems. Alle Organismen sind gleichwertig. Teleologische Begriffe wie Höherentwicklung haben darin keinen Platz. Der Wandel von einer idealistischen zu einer evolutionären Systematik war ein bemerkenswert langsamer Prozess, der bis heute andauert. Spuren der Stufenleiter sind bis heute in der Systematik zu entdecken, da sie zum Teil das Lehren von Zusammenhängen zu vereinfachen scheinen. Ein Verwerfen der von Linné eingeführten binomialen Namensstruktur und den hierarchischen Rangstufen wie Familie und Ordnung mag in Anbetracht des Wandels notwendig erscheinen. Allerdings ist es derzeit noch nicht klar, ob die phylogenetische Systematik einen adäquaten Ersatz bieten wird.
Die Taxonomie ist ebenfalls in einem Wandel. Traditionelle Taxonomie arbeitet typologisch . Das heißt, wir definieren eine Art aufgrund der morphologischen Ähnlichkeit mit einem ausgewählten Individuum, dem Typusbeleg . Die Unzulänglichkeiten dieser Arbeitsweise aber auch ihre Vorteile sind seit Langem bekannt. Die Entwicklung neuer Verfahren, vor allem die rasante Entwicklung der molekularen Systematik, bietet hier neue Möglichkeiten, die in naher Zukunft zu einem fundamentalen Wandel führen werden. Dieser Wandel ist vor allem mit den Konzepten des DNA-Barcodes und der DNA-Taxonomie verbunden. Der DNA-Barcode dient der Bestimmung von Arten aufgrund von Ähnlichkeiten ausgewählter Abschnitte der DNA. Das heißt, wir müssen in Zukunft eine Art nicht nur aufgrund morphologischer Ähnlichkeiten definieren, sondern auch die Gemeinsamkeiten eines DNA-Barcodes ermitteln. Dieser beruht im Gegensatz zum typologischen Verfahren nicht auf einem einzelnen Beleg, sondern auf einer Gruppe von Referenzbelegen. Die DNA-Taxonomie geht hier noch einen Schritt weiter. Die Morphologie wird vernachlässigt und die Art nur noch aufgrund der Gemeinsamkeiten des Genotyps definiert. Allerdings ist bereits jetzt klar, dass auch DNA-Barcodes und DNA-Taxonomie nicht ohne die traditionelle, typologische Taxonomie auskommen werden.
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Lebende Fossilien: Rezente Organismen, die über lange geologische Zeiträume unverändert blieben.
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7.5 Evolutionstheorie und Welterklärungen
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Die Evolutionstheorie ist eine
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