Taschenlehrbuch Biologie - Evolution - Oekologie
naturwissenschaftliche Theorie zur Erklärung der biologischen Vielfalt. Es handelt sich bei ihr nicht um eine Theorie zur Erklärung der Welt. Ihre Einführung hatte allerdings, wie eine ganze Reihe anderer wichtiger Fortschritte in den Naturwissenschaften, radikale Konsequenzen für unser Verständnis der Welt und vor allem für die Rolle des Menschen in dieser Welt.
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Darwins Evolutionstheorie bedeutete auch eine Neudefinition der Stellung des Menschen in seiner Umwelt. Die Bedeutung der Darwinschen Idee ist wohl am besten mit der Widerlegung des Ptolomäischen (geozentrischen) Weltbildes durch Mikolaj Kopernik(us) (1473–1543) zu vergleichen. Allerdings führte und führt diese Bedeutung zu Anfeindungen durch verschiedene Glaubensrichtungen, die ihre Erklärungen für das Dasein des Menschen in Frage gestellt sehen.
Darwin war sich der Bedeutung seiner Theorie bewusst. In seinem ersten Hauptwerk „On the Origin of Species“, publiziert in 1859, vermied er das Thema Mensch. Diesem Thema widmete er entsprechend ein eigenes Buch „Descent of Man and Selection in Relation to Sex“, publiziert in 1871. Seine Zeitgenossen zögerten allerdings nicht, die Konsequenzen für die Einordnung und Rolle des Menschen direkt nach der Publikation der „Origins“ zu ziehen. Vonseiten einer Reihe von christlichen Glaubensgruppen wurde der Evolutionsgedanke weitgehend abgelehnt. Diese Ablehnung wird bis heute in vielen, aber nicht in allen christlichen Glaubensgruppen gepflegt. Besonders stark ist dies in den Bewegungen des Kreationismus (Schöpfungsglaube) und seiner derzeit populären Erscheinungsform, dem „Intelligent Design“, ausgeprägt. Der Kreationismus hat allerdings seine Wurzeln vor der Etablierung der Evolutionstheorie und bezieht seine Grundlagen aus einer wörtlichen Auslegung der Bibeltexte. Dass diese Richtungen nicht nur im Konflikt mit der Evolutionstheorie, sondern auch mit vielen anderen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen stehen, wird leider meist übersehen. Allerdings gab es auch religiöse Denker, die eine Synthese von Glauben und Evolutionstheorie suchten. Es sei hier stellvertretend der Jesuit M.-J. P. Teilhard de Chardin (1881–1955) genannt.
Neben den religiösen Anfeindungen war auch stets die Vereinnahmung der Evolutionstheorie in philosophischen oder politischen Theorien ein Problem. Berühmt sind die positiven Bemerkungen von Karl Marx (1818–1883) zu Darwins Idee, dabei wird allerdings gerne die Ablehnung durch andere dem Marxismus/Leninismus zugeordnete Denker und Forscher übersehen. Ebenfalls berühmt ist das Beispiel von T. D. Lyssenko (1898–1976), der in der stalinistischen UdSSR anstelle neodarwinistischer eine dem Lamarckismus, d. h. der Vererbung von erworbenen Eigenschaften von Individuen, gewidmete Forschung etablierte (Lyssenkoismus). Im deutschen Sprachraum ist zudem der politischeMissbrauch der Evolutionstheorie in der nationalsozialistischen Ideenwelt zu beachten. Eine Reihe von Ideologien übernahmen von der Evolutionstheorie, was in das jeweilige Weltgebäude passte. Das Resultat war und ist stets ein Götze, wie zum Beispiel die Rassenlehre, die nichts mit der Evolutionstheorie zu tun hat. Im Zusammenhang des Überganges zwischen naturwissenschaftlicher Theorie und Welterklärungen sei hier noch einmal Ernst Haeckel (1834–1919) genannt. Haeckel war einer der wichtigsten Vorkämpfer für Darwins Idee und initiierte die Gründung des ersten phylogenetischen Museums, das bis heute in Jena existiert. Sein Beitrag zur Entwicklung der Evolutionstheorie wurde schon gewürdigt. Darüber hinaus entwickelte er aber auch eine „monistische Religion“, in welcher der Evolutionsgedanke ein zentraler Bestandteil ist.
In den letzten Jahrzehnten erlebte der Kreationismus in der Erscheinungsform des „Intelligent Design“ ein erneutes Aufleben in Nordamerika. Diese Bestrebungen führten und führen zu einem konstanten Ringen um die Darstellung der Evolutionstheorie im Schulunterricht. Eine Reihe bedeutender Evolutionsbiologen haben in Anbetracht dieser wissenschaftsfeindlichen Bestrebungen Beiträge publiziert, in denen die Bedeutung und Grundlagen der Evolutionstheorie in einem gut zugänglichen Stil dargestellt wurden. Es seien hier die Lektüre von Ernst Mayr „What Evolution Is“ (Das ist Evolution) und die Bücher von Richard Dawkins und Stephen Gould empfohlen.
7.6 Eine kurze Geschichte des Lebens
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Die Vielfalt und Komplexität des Lebens ist nur
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