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Tatjana

Tatjana

Titel: Tatjana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Cruz Smith
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muss erst die Familie gefragt werden.«
    »Hatte sie Familie?«
    »Eine Schwester in Kaliningrad, die niemand auftreiben kann. Ich hab’s versucht. Ich bin selbst nach Kaliningrad geflogen und habe an ihre Tür geklopft, denn wenn die Schwester keinen Anspruch auf sie erhebt oder sie Tatjana lange genug verstecken, könnte sie in einem Grab für Namenlose landen. Ein doppeltes Verschwinden.«
    »War sie von Natur aus verschlossen?«
    »Sie hatte ein Privatleben. Hin und wieder verschwand sie für eine Woche und erzählte nie, wo sie gewesen war. Eine unberechenbare Frau. Ich glaube, es war ihre Unberechenbarkeit, die sie am Leben hielt. Und sie gab nie ihre Quellen preis, doch als wir in den Nachrichten sahen, dass in Kaliningrad eine Leiche an den Strand geschwemmt worden war, bestand sie darauf, sich den Tatort anzusehen.«
    »Wie hieß der Tote?«
    »Das wollte sie nicht sagen.«
    »Woher kannte sie ihn?«
    »Laut Tatjana hatten sie sich bei einer Buchpräsentation in Zürich kennengelernt. Er dolmetschte für einen der anderen Autoren. Sobald er jedoch erfuhr, wer sie war, versuchte er sie zu beeindrucken und ließ sie wissen, er habe Insiderinformationen über kriminelle Aktivitäten in Moskau und Kaliningrad. Die Polizei hat nicht mal vorgegeben, seinen Tod zu untersuchen. Sie haben ihn bloß abtransportiert. Ein paar einheimische Kinder fanden sein Notizbuch hoch oben im Dünengras. Die kleinen Miststücke haben es Tatjana verkauft. Fünfzig Dollar für ein Notizbuch voller Rätsel. Nur sind wir die Angeschmierten. Das Ding ist vollkommen nutzlos.« Obolenski schloss eine Schublade auf und holte ein Spiralnotizbuch heraus, wie es Reporter verwenden.
    »Was steht drin?«
    »Tatjana sagte, das seien Dolmetschernotizen.«
    »Notizen worüber?«
    »Sagen Sie’s mir. Tatjana hielt es geheim. Das sollte der Höhepunkt ihrer Karriere werden. Ihr einen Heiligenschein verschaffen. Stattdessen setzte die Verleumdungskampagne des Kreml ein. Sie verderbe die Jugend, sei eine Agentin des Westens, eine schamlose Frau. Sie bewerfen dich mit Dreck, noch während sie dich umbringen. Das ist deren Vorgehensweise.«
    »Wer sind ›sie‹?«
    »›Sie‹ sind diejenigen im Kreml, die entscheiden, ob ein Journalist zu tief gräbt oder zu hoch hinaufgreift. Diejenigen, die behaupten, nur ein Sarg könne einen Buckligen gerade biegen.«
    »Wo ist Tatjanas Hund?«
    »Polo? Bei Maxim, soviel ich gehört habe. Renko, warum klingen Sie immer noch wie ein Ermittler?«
    »Gewohnheitssache.« Arkadi sah sich müßig im Büro um. Ein Kaktus auf der Fensterbank wirkte zerlöchert und besiegt. »Was ist mit Tatjanas Manuskript passiert?«
    »Ist verschwunden. An dem Tag, als sie starb, wollte sie mir eine Rohfassung geben. Ich habe nur dieses Notizbuch.«
    »Darf ich mal sehen?«
    Obolenski lachte. »Schauen Sie es sich an.«
    Arkadi blätterte die erste Seite auf. Die zweite, dritte, und seine Verwirrung nahm noch zu. Zeichnungen. Pfeile, Kästchen, Tränen, Fische, eine Katze und mehr, als hätte jemand den Inhalt eines Setzkastens ausgeschüttet und gnostische Symbole, Dollarzeichen, Strichmännchen und, vollkommen abwegig, »Natalja Gontscharowa« eingefügt, den Namen der treulosen Frau, für die der Dichter Puschkin sein Leben gelassen hatte.
    »Was bedeutet das?«, fragte Arkadi.
    »Wer weiß?« Obolenski nahm ihm das Notizbuch ab und legte es zurück in die Schublade. »Tut mir leid, ich hebe es für die Autorin auf, die ich beauftragt habe, einen Folgeartikel über Tatjana zu schreiben.«
    »Nach dem Angriff auf die Demonstration dachte ich, Sie hätten aufgehört, Wellen zu schlagen.«
    »Haben wir, haben wir. Trotzdem gibt es da eine Reporterin, die es unbedingt versuchen will. Wie kann ich es ihr abschlagen?«
    »Wem?«
    »Anja. Das ist ihre große Chance, finden Sie nicht?«
    Arkadis Wagen war gerade aus der Werkstatt gekommen, und nachdem er ihn endlich zurückhatte, war er nervös wie ein junger Vater. Jedes Fahrzeug fuhr auf wenige Millimeter auf. Die anderen Fahrer traten nicht in Augenkontakt und gaben kein Pardon.
    Viktor grinste hämisch. »Das ist wie beim Stierlauf in Pamplona, aber in Zeitlupe. Schön, dein Auto wiederzusehen. Ein bisschen machohaft für meinen Geschmack, wenn du weißt, was ich meine.«
    »Ich kann es mir denken.«
    »Das Problem ist, da der Revierkommandant sagt, Tatjana Petrownas Tod sei eindeutig Selbstmord, gibt es keine Grundlage für weitere Ermittlungen. Das bedeutet, keine eidesstattlichen

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