Tatjana
irgendetwas zu unternehmen, solange dir der Staatsanwalt den Fall nicht übertragen hat. Du hast ihn seit Wochen nicht gesehen.«
»Tja, ich habe ihn vernachlässigt«, gab Arkadi zu.
Da Arkadi nicht Golf spielte, wusste er nicht, wie viele Abschläge einem Spieler erlaubt waren, um den Ball von einem Tee zu schlagen. Staatsanwalt Surins Abschläge wurden bei jedem Versuch fahriger.
»Sie müssen da nicht wie ein Aasgeier rumstehen, Renko. Alles lief bestens, bevor Sie aufgetaucht sind.«
»Ist das nicht immer so?«
Das war also der berühmte Golfklub des Staatsanwalts. Ein offener Käfig und Matten aus Kunstrasen zwischen einem Autohändler und einer Paintballpiste. Der Bereich war beleuchtet, und Schilder markierten den Abstand vom Tee: 100 Meter, 150, 200. Für Surin hätte genauso gut Mars, Saturn, Jupiter draufstehen können. Das Problem war, dass er wie ein echter Golfer aussah, hochgewachsen, gebräunt und silberhaarig. Nur sah er auch wie ein echter Staatsanwalt aus.
»Haben Sie es mal mit Paintball versucht?«, fragte Arkadi.
»Kommen Sie zur Sache. Was wollen Sie?«
»Ich wollte Ihnen mitteilen, dass ich wieder im Dienst bin.«
»Sie sind noch für eine weitere Woche krankgeschrieben.«
»Ich habe mich genug ausgeruht. Ich habe versucht, Sie telefonisch zu erreichen und Ihnen Nachrichten hinterlassen.«
Surin blickte zu Viktor und dem Niwa. »Sie könnten ins Büro kommen und Ihre Post abholen, aber ich habe keine Fälle für Sie. Alle anderen arbeiten als Team. Ich kann keine Teams aufspalten. Für Sie gibt es im Moment wirklich nichts zu tun.«
»Ich werde etwas finden.«
»Zum Beispiel?«
»Eine Leiche im Leichenschauhaus. Sie scheinen sie verlegt zu haben.«
»Mord?«
»Selbstmord«, versicherte ihm Arkadi.
Er sah, wie Surin die Sache erwog, unsicher, ob es ein unverhoffter Glücksfall oder eine Falle war.
»Wissen Sie, wenn Sie in radikale Demonstrationen und Straßenschlachten verwickelt werden, fällt das auf das gesamte Büro zurück. Wir sind Ihre Geiseln. Ihre Kollegen haben die Nase voll vom Melodram Ihres Lebens. Die Leiche einer Selbstmörderin zu finden, ist doch sinnlos, nicht wahr? Tot ist tot.« Die Aufmerksamkeit des Staatsanwalts wurde vom Tee abgelenkt. Noch ein halber Eimer voller Bälle. »Wenn Sie einer Leiche nachjagen wollen, tun Sie’s. Das passt zu Ihrem Stil, eine vollkommen sinnlose Geste. Aber tragen Sie sich wenigstens im Büro ein, als würden Sie dort arbeiten.«
Wenn man ins Büro geht, passiert bloß Schlimmes, dachte Arkadi. Er war Pluto gewesen, ein Eisbrocken im äußeren Weltraum, zufrieden in seiner Obskurität. Doch nur ein Schritt in sein Büro, und die geballte Schwerkraft prallte auf ihn. Memos, Notizen und Mahnungen häuften sich auf dem Schreibtisch, und auf dem Lehnstuhl wartete Dr. Korsakowa mit Röntgenbildern im Schoß.
»Was für ein Vergnügen«, sagte Arkadi.
» Und auch eine Überraschung, da bin ich sicher. Anscheinend sind Sie ein Phantom. Oder Sie sind mir ausgewichen?«
»Niemals.«
Er wollte ihr Tee anbieten, doch sein Elektrokocher war verschwunden. Korsakowa hatte Arkadi wegen einer Schusswunde behandelt, einer Kugel im Gehirn, die ihn hätte töten sollen und es auch getan hätte, wenn das Projektil nicht ein durch die Zeit erodiertes Relikt gewesen wäre. Statt eine Chaussee durch Arkadis Kopf zu pflügen, hatten sich Knochenfragmente zwischen dem Schädelknochen und der Hirnhaut eingenistet und so starke Blutungen ausgelöst, dass Drainagebohrungen und Abheben der Schädeldecke gerechtfertigt waren. Seitdem hatte die Ärztin ein besitzergreifendes Interesse an Arkadis Gesundheit entwickelt.
»Tja, da sind wir. Ich würde Ihnen Tee und etwas zu essen anbieten, aber die Schränke sind leer.«
»Nicht jeder mit einem Kopfschuss bekommt eine zweite Chance. Sie sollten das zu schätzen wissen. Erinnern Sie sich noch an Ihre Kopfschmerzen?«
Die medizinische Bezeichnung lautete »Donnerschlagkopfschmerzen«, ein plötzliches Heulen in der Schwärze der Nacht, das ein Anzeichen für Gehirnblutung war. Arkadi erinnerte sich.
Dr. Korsakowa mahnte: »Wenn man Vorsicht walten lässt, sollte es keinen Grund zur Besorgnis geben. Hören Sie zu?«
»Ich hänge an Ihren Lippen. Sie haben mir gesagt, ich müsse mir keine Sorgen machen, vermutlich würde nichts passieren.«
Sie stand auf, zog die Aufnahmen heraus und kippte Arkadis Schreibtischlampe so, dass sie nach oben leuchtete. »Macht es Ihnen was aus?«
»Nicht das
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