Tatort Mallorca - Die Tote in der Moenchsbucht
den Schulheften mitbringen könnten, dann kann ich alles aufschreiben, mir geht so viel durch den Kopf. Vielleicht fallen mir einige Sachen wieder ein, und ich kann sie notieren. Meine ganzen Unterlagen sind durch den Brand verloren gegangen. Ist dieser Heinz Kunert verhaftet worden? Den sollte das Gericht anklagen, wertvollste Details, alles vernichtet.“
„Heinz Kunert sitzt ein und wird vor ein Gericht gestellt. Aber er bekommt wahrscheinlich mildernde Umstände, weil er unter erheblichem psychischen Stress stand wegen seiner Frau, die ihn nach der Geburt ihres Kindes auf Ihren Rat hin verlassen hat. Das Verfahren wird wegen der Eizellenentnahme einigen Staub aufwirbeln. Sie wissen, es gibt sehr viele Gegner auf der Insel. Man wird Sie und die Schamanengruppe an den Pranger stellen. Aber besonders Sie, da Sie jetzt noch der Mithilfe zu einem Ritualmord beschuldigt werden und an einem weiteren Mord in Sizilien vor vier Jahren ebenfalls beteiligt gewesen sein sollen. Es sieht nicht gut für Sie aus. Aber einige einflussreiche Leute auf der Insel sind nicht an einem großen Skandal interessiert, er stört das Image, und man möchte den ganzen Prozess am liebsten nach Deutschland oder nach Italien verlagern. Ich sage Ihnen nur, was Sache ist.“
„Das ist doch ein Albtraum, in den ich geraten bin, warum ich?“ Gwen schlägt die Hände vor das Gesicht und weint. Bisher hatte sie sich gut gehalten, weil sie glaubte, dass sich in Kürze alles als Irrtum herausstellen würde. Jetzt bricht ihr Kartenhaus zusammen, sie jammert: „Wofür bestraft man mich, was habe ich getan? Ich habe den Menschen doch nur geholfen. Bitte kommen Sie an einem anderen Tag wieder, ich kann jetzt nicht mit Ihnen reden, bitte.“
Gwen winkt der Beamtin zu und wendet sich zur Tür. „Wie Sie wollen, Frau Hübner.“
Wie kann ich mich umbringen, überlegt sie, als sie in ihre Zelle zurückgeht, wie? Ich werde nichts mehr essen, nichts mehr trinken. Und ich werde nicht mehr reden. Erst wenn Rebekka kommt. Rebekka muss mir helfen.
Kapitel 47
Di Flavio biegt in die Avinguda de Gabriel Roca, wie der Passeig Maritim an dieser Stelle heißt, ein. Der Himmel über dem Hafen ist seit einigen Tagen verhangen, und alles wirkt grauer als üblich. Der Wetterbericht spricht von ungewöhnlichen Strömungsverhältnissen, weil die kalte, regengesättigte Luft eines Tiefs über dem Atlantik sich derzeit nicht im Norden Europas, sondern im Süden festgezurrt hat. Die Landwirte jammern wie sonst auch, dieses Mal ist es zu nass, sonst ist es zu trocken.
Seine Gruppe fliegt morgen nach Hause zurück und ist überglücklich, dass sie zu Hause die Sonne erwartet. Di Flavios Stimmung ist wie der Himmel verhangen. In ein paar Tagen wird er mit einer nächsten Besatzung wieder von vorn anfangen, sich auf neue, junge Beamte einstellen, wieder den gut gelaunten Unterhaltungspapi spielen müssen, bis sich alle eingelebt haben und mitziehen. Er sehnt sich plötzlich mit Vehemenz zurück nach Tropea in sein eigenes Kommissariat, in die Routine, das Bekannte.
Als er im Präsidium eintrifft, kommt Garcia auf ihn zu, auch er ist brummig, wie di Flavio findet. „Diese Schamanenlady geht in den Hungerstreik, du musst mir helfen Tino, sie will auch nicht mehr reden. Die Indizienkette ist bisher dünn. Wir haben ein Haar von ihr, den kleinen Fitzel Neopren und ihr Wissen um die Hexenmittel. Ich habe ein komisches Gefühl bei der ganzen Sache. Wir brauchen ihr Geständnis. Ansonsten hoffe ich, dass ihr in Italien auf brauchbare DNA-Spuren stoßen werdet. Sie nehmen sich gerade die alten Funde vor.“
Der Commissario lächelt, weil er die Kollegen in Palermo vor sich sieht, wie sie in weißen Anzügen mit Mundmaske eine Reihe Tesastreifen nach der anderen auf das am Tatort gefundene Handtuch aufbringen, abziehen und dann den Streifen abkratzen und die Miniteilchen unter einem Mikroskop sichtbar machen, um eine brauchbare DNA zu ermitteln. Sisyphusarbeit. Alle Altfälle werden nach diesem Verfahren seit einiger Zeit aufgerollt und häufig mit guten Ergebnissen.
„Wann soll ich mit ihr sprechen?“ fragt di Flavio.
„Heute Nachmittag. Vielleicht überlegt sie sich das mit dem Streik ja noch. Ihre Freundin lungert übrigens dauernd vor der Haftanstalt rum und bekniet den Beamten am Tor, sie, wenn auch nur kurz, zu ihrer Freundin zu lassen. Scheint ja die große Liebe zu sein.“
„Vielleicht bietet sich da eine Möglichkeit. Ich spreche auch mal mit der Freundin.
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