Tatort Mallorca - Die Tote in der Moenchsbucht
nach einem Zettel, einer Nachricht. Unten auf dem Boden findet sie Scherben eines Glases. Sonst nichts. Sie schüttelt ungläubig den Kopf, zweifelt einen Moment, ob ihre hungernden Sinne ihr einen Streich spielen.
„Wir fahren in fünf Minuten, Ulla“, hört sie vom Gang her die Stimme des Meisters.
„Komme“, ruft Ulla. Eine Minute später tritt sie zu Hetyei, der mit einer ihr noch unbekannten Frau in der Diele wartet. Wie gestern trägt er wieder eine weiße, weite Hose und darüber einen ebenso blütenweißen, über die Hüften reichenden Kaftan. Die muskulöse Figur der Frau neben ihm hüllt ein weitfallendes Kleid aus Naturmaterialien ein. Sie ist ebenfalls groß. Ulla kommt sich mit ihren 1,65 Metern winzig dagegen vor.
„Schön, dass Sie pünktlich sind, Ulla“, begrüßt sie Hetyei, ganz der Meister und unnahbar. Im Gehen stellt er vor: „Das ist Rebekka. Ulla.“ Die Frau nickt ihr zu. Ulla versucht zu lächeln.
Ihr Magen meldet sich herrisch und unangenehm. Sofort schwebt ihr ein ofenwarmes Croissant vor, und süßer Backduft kitzelt ihre Nase, sie spürt förmlich das knackige Splittern beim Hineinbeißen und den buttrigen Geschmack auf der Zunge ... Schnell versucht sie, ihren Wunsch nach Essen zu unterdrücken, obwohl eine Enttäuschung sich einnistet und sie mürrisch werden lässt. Mundfaul und müde plumpst sie auf die Rückbank des vor dem Haus wartenden Fahrzeugs. Hetyei lenkt das Auto. Rebekka reicht ihr einen Becher mit dampfendem Tee in den Fond des Wagens.
„Bitte, aber Vorsicht, ist ein wenig bitter. Eine Spezialmischung als Vorbereitung auf die Séance.“
Ulla nippt vorsichtig, während sie aus dem Fenster schaut. Es kommt ihr vor, als würden sie in ein Nichts fahren. Auf der engen Landstraße wabern noch restliche Nebel- und Wolkenfetzen, ein dämmeriges Licht grummelt Abschiedsweisen. Ein Vogel kreischt wie ein krankes Kind. Im Vorbeifahren streift ihr Blick das Ortsschild: Galilea. Was für ein Name, geht ihr erneut durch den Kopf. Ulla wendet den Blick von der Straße ab und sich dem bunten Muster ihres weiten Rocks zu, wandert zu den Sandalen mit den orangefarbenen Söckchen, ihrem T-Shirt in der gleichen Farbe und zu ihrer dunkelbraunen Jacke. Ihr Aufzug steht von den Farben und Formen her in einem absolut krassen Gegensatz zu der Kleidung des Meisters und der seiner Begleiterin. Dass sie daran zu Hause nicht gedacht hat. Sie kommt sich vor wie ein buntschillernder Mistkäfer neben zwei weißen Tauben. Sie fühlt ein diffuses Unbehagen aufsteigen. Eindeutig ist sie hier fehl am Platz, jemand, der eindringt und nicht dazugehört. Bei dieser Erkenntnis schließt sie erschöpft die Augen. Als das Auto über eine unebene Stelle rumpelt, muss Ulla sie gezwungenermaßen wieder öffnen.
Hetyei beobachtet sie im Rückspiegel. Der Blick seiner dunklen Augen ruht auf ihr, ein wenig starr und distanziert und doch mit diesem Funkeln, dieser Kraft, so dass es schwerfällt, sich ihm zu entziehen. Das eigentümliche Grummeln in ihrem Inneren verstärkt sich.
„Haben Sie schon einmal an einer Séance teilgenommen, Ulla?“ fragt er mit seiner melodischen Stimme, die in die tieferen Schichten ihres Bewusstseins einzudringen scheint. Irritiert über die eher belanglose Frage, wobei sie nicht weiß, welche Frage sie erwartet hat, antwortet sie: „Nein, ich bin wenig über diese Sachen informiert.“
„Sie haben vor, mit Ihrer toten Mutter in Verbindung zu treten?“
„Ja. Meine Mutter ist vor vielen Jahren umgekommen. Sie war noch eine junge Frau, als sie sich vermutlich unter Drogeneinfluss von einer Felsklippe stürzte. Ich habe sie nie kennengelernt und erst letztes Jahr von ihr erfahren. Eine Freundin von ihr verwahrte ihre Aufzeichnungen und hinterließ sie mir. Sehr viel mehr weiß ich leider nicht.“
„Um Wissen geht es nicht. Es geht darum, dass sich Ihre Gedanken ab sofort voll auf Ihre Mutter konzentrieren. Behalten Sie dies im Sinn. Wir werden zusammen trommeln und uns in Trance versetzen. Der eine oder andere wird herausrufen, was er in diesen Moment empfindet und erlebt. Es kann sein, dass sich ein Medium bei Ihnen meldet und Sie als Ihre Mutter anspricht. Wichtig ist, dass Sie sich völlig entspannen. Meinen Sie, Sie können das ohne weitere Hilfe?“
Ulla spürt Beklemmung aufsteigen. Am liebsten würde sie einen Rückzieher machen. Aber andererseits, ja, sie will mehr über ihre Mutter erfahren, es ist ihr sehnlichster Wunsch.
„Ich werde es versuchen“,
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