Tatort Mallorca - Die Tote in der Moenchsbucht
ein kleiner Junge war, gab es nichts Schöneres für mich, als mit meinem Vater zu den Patienten zu fahren. Also studierte ich in Wien Medizin bis, ...“ Hetyei nimmt einen Schluck Tee, zögert einen Moment, bevor er weiterspricht, „bis ich mich in eine Studienkollegin aus Guatemala verliebte. Ein Erdbeben erschütterte die Region, in der ihre Familie lebte, und wir reisten umgehend nach Guatemala, um zu helfen. Bei den Aufräumarbeiten lernten wir einen dort sehr berühmten Schamanen und Heiler kennen. Er bot mir später an, bei ihm zu lernen und behauptete, ich wäre zum Heiler bestimmt.“
„Offensichtlich hatte er recht. Und Sie haben den gesamten Ritus absolviert? Ich habe einiges darüber gelesen. Die Beschreibungen waren nicht sonderlich verlockend.“
„Allerdings, der Schamane wies mich an, tagelang zu fasten. Dann verabreichte er mir einen speziellen Kräutersud und ließ mich allein. Für mich war es schwer, die Einsamkeit auszuhalten, während ich näher dem Tode als dem Leben war. Die erste Woche geschah nichts, mir war nur übel, und ich war benommen. Bis ich eines Tages, völlig abgemagert und schwach, aufgeben wollte, bevor ich auch dazu zu apathisch werden würde. ‚Noch diesen einen Tag, musst du die Prüfung aushalten. Trink diesen Becher aus, ich sehe, du wirst es heute schaffen.‘ Und tatsächlich erreichte ich über den Rauschzustand hinaus eine tiefe Trance. Doch das war erst der Anfang.“
Der Meister räuspert sich und hängt einen Moment seinen Gedanken nach. „Den Weg eines Schamanen einzuschlagen verlangte von mir eine aktive Entscheidung. Ich musste mich immer wieder in die Dunkelheit begeben und die lichte Welt ausschließen, um in die tieferen Bereiche meines eigenen Wesens einzutauchen. Erst nach dem Durchwandern der Dunkelheit konnte ich die andere Dimension betreten. Ich dachte damals, ich hätte mein Ziel erreicht, aber dann ...“
Hetyeis Stimme verliert sich. Ein Schatten zieht in seine Augen ein. Dann gibt er sich einen Ruck: „Wie Sie wissen, ist die Praxis der Magie seit Urzeiten mit den Heilkräutern, mit Kräuterkunde und Geburtshilfe verbunden. Der angehende Heiler muss, damit er seine Visionen besser deuten kann, gründliche Kenntnisse über bestimmte Pflanzen erwerben. Der Schamane unterwies mich. Sie haben ja bereits sehr profunde Kenntnis über Heilpflanzen erworben. Jetzt können Sie darüber hinaus lernen, mit den Pflanzen zu sprechen.“
Ulla fühlt sich geschmeichelt. Sie lächelt. Meint er seine Bemerkungen ernst? Sie schaut den Meister an. In seinen dunklen Augen funkelt Wärme und lässt in Ulla Gefühle aufkeimen, gegen die sie sich lieber wehren möchte. Sie spielt mit ihrer Teetasse.
„Ist Ihre Frau ebenfalls Schamanin?“
Plötzlich befürchtet sie, dass Gwen Hetyeis Frau ist. Unter diesen Umständen wäre deren Reaktion bei ihrem Eintreffen schlicht Eifersucht? Obgleich, wie eine Südamerikanerin sah Gwen nicht aus.
„Meine Frau? Ja, ... sie war Schamanin. In Guatemala. Sie hat alle Prüfungen bestanden, kannte die Gesänge, bis ...“ Wieder huscht diese Traurigkeit in seine Züge. Ulla legt mitfühlend einen Moment lang ihre Hand auf seinen Arm. Er steht auf.
„Gute Nacht. Ich fühle, dass bei Ihnen gute Voraussetzungen vorhanden sind, ebenfalls eine Schamanin zu werden, Ulla. Denken Sie darüber nach.“
Verlegen schweigt sie. Als ihr der Meister die Hand hinstreckt, um sich zu verabschieden und sie sich erhebt, merkt sie erst, wie müde sie ist.
„Gute Nacht. Ich bin kein besonders guter Frühaufsteher, wecken Sie mich bitte rechtzeitig“, sagt sie unter Gähnen schon an der Tür.
Als sie den Flur entlangstolpert, kostet es Ulla Mühe, ihre Schritte geradeaus zu lenken. Ihre Beine gehorchen ihr nicht. Ihr Zustand ist der einer Betrunkenen, als hätte sie statt des Tees einige Gläser Wein getrunken. Wieder sehen für sie alle Türen irgendwie gleich aus. Erleichtert atmet sie auf, als sie endlich die Richtige findet. Ohne das Licht anzuknipsen, windet sie sich aus ihren Sachen, schlüpft nackt unter die Bettdecke. Durch den Spalt der Vorhänge fällt spärliches Mondlicht. Sie legt sich auf den Rücken, schließt die Augen. Neben dem Kreiseln spürt sie noch immer die irritierende Nähe dieses Mal schroff, mal herzlich scheinenden Mannes mit seiner geheimnisvollen Ausstrahlung. Sein herb männlicher Geruch scheint im Raum zu hängen. Obgleich todmüde, brennt ihr Körper vor Verlangen. Nach diesem Mann? Sie verwirft den Gedanken
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