Tatort Mallorca - Die Tote in der Moenchsbucht
an dem schweren Leinenstoff. Als der Schal sich endlich zur Seite ziehen lässt, atmet sie leise durch. Sie öffnet sachte die Balkontür. Nachtluft flutet kühl in den Raum. Ullas Blick wandert zum Himmel, die Sterne leuchten ihr klar entgegen. Wie herrlich, denkt sie und ist dankbar für dieses Geschenk der Natur. Der Sternenhimmel scheint ihr näher als jemals zuvor.
Auf Zehenspitzen dreht Ulla sich um, geht zum Bett zurück. Rückt im Liegen so nah wie möglich an die andere Bettseite heran, so dass ihre Hand hinüberlangen kann. Streckt sie sanft aus, tastet sich unter der sich bauschenden Decke durch, hofft, auf Ennos warmen Körper zu stoßen. Doch so sehr ihre Hand auch sucht und sucht, sie ertastet nur den glatten Stoff des Lakens. Ungeduldig robbt Ulla näher. Nun nicht mehr vorsichtig, sondern eher vehement, zerrt sie ungestüm die Bettdecke zur Seite. Das Laken ist verknüllt, benutzt. Doch das Bett ist leer. Enttäuscht lässt Ulla sich zurückfallen. Sie möchte heulen.
Stattdessen steht sie auf, sucht nach dem Lichtschalter. Als sie ihn findet, drückt sie auf den Kippmechanismus. Hofft wenigstens im Raum noch irgendetwas von Ennos Gegenwart zu entdecken. Einen kleinen Liebesbeweis, ein Abschiedswort, ein paar nette Zeilen, wann sie sich wiedersehen.
Das Licht funktioniert nicht. Sie muss sich notgedrungen mit dem Mondlicht zufriedengeben. Ihre Suche ist vergeblich. Sie findet keinen Hinweis darauf, dass Enno hier war. Nichts. Nach einer Weile gibt Ulla auf. Sie friert, schließt das Fenster. Krabbelt wieder in das Bett zurück, zieht die Bettdecke bis zur Nasenspitze hoch, schließt die Augen. Traurig gesteht sie sich ein: Es war nur ein Traum. Vor lauter Sehnsucht fantasiere ich ihn mir schon herbei. Ich muss damit aufhören, muss Schluss machen, ihn mir aus dem Herzen reißen, ihn vergessen, es ist so töricht von mir.
Ulla versucht die Uhrzeit zu erkennen. Zwei Uhr und etwas meint sie festzustellen. Noch immer fröstelt sie. Sie greift nach den Socken, die neben ihrem Nachttisch liegen und streift sie über. Langsam wärmt sich ihr ausgekühlter Körper auf. Ihr kaltes, enttäuschtes Inneres beruhigt sich erst nach und nach, und sie dämmert erneut in den Schlaf hinüber.
Kapitel 6 – Am Morgen
Der erste Kongresstag
Ein Gongton hallt dumpf durch das Haus. Wie von Geisterhand entzündet, leuchtet augenblicklich die Nachttischlampe auf und taucht das Zimmer in ein gelbliches Licht. Noch in einem Traum gefangen, reagiert Ulla mit Panik. Feueralarm? Sie springt wie angestochen aus dem Bett. Beim Zusammenraffen ihrer Sachen fällt ihr Blick auf die Uhr. Die Zeiger stehen auf 4.30 Uhr. Nach Abklingen der Schrecksekunde dämmert ihr, dass der Gong als Wecksignal gedacht ist. Ihr fällt ein, dass sie leichtfertig entschied, an dieser Morgenséance in den Bergen teilzunehmen.
Im gleichen Moment verflucht Ulla ihren Entschluss. Als ihr überdies noch klar wird, dass ihr nur noch Minuten zur Verfügung stehen, um sich zu duschen und richtig anzuziehen, könnte sie sich die Haare raufen. Worauf hat sie sich nur eingelassen? Was verlangt man von ihr? Wo ist ihr Lockenstab eigentlich und wo ihre Unterwäsche? Nur noch zehn Minuten, nein weniger, dies ist eine absolute Zumutung. Es ist halb fünf! Sie ist nie ein Morgenmensch gewesen, aber ein Nachtmensch für diese unchristliche Zeit ebenfalls nicht. Ulla schimpft vor sich hin. Dann klaubt sie kurz entschlossen die Sachen, die sie gestern Abend ausgezogen hat, vom Stuhl und streift sie über. Im Bad spült sie sich rasch den Mund aus. Ein kurzer Blick in den Spiegel zeigt ihr, dass ihre halblangen, blonden Haare ziemlich wüst um den Kopf herum abstehen. In Kringeln und Formen, die wenig mit einer gepflegten Frisur zu tun haben. Sie fährt mit der Bürste durch. Zwecklos.
Hoffentlich bekomme ich noch einen Kaffee, denkt sie, ohne Kaffee bin ich kein Mensch. Aber dann fällt ihr ein, dass es bei diesem Schamanenverein sicher nur wieder Tee gibt. Ja, dass sie obendrein nüchtern bleiben muss, obwohl ihr jetzt, wo sie wacher ist, der Magen knurrt. Grimmig macht sie sich auf den Weg.
Als sie die Zimmertür zuziehen will, fällt ihr Blick auf eine rote Rose, die einfach so, ohne Grund und ohne Wasser, durstig auf dem Tisch liegt und um Erbarmen bettelt. Sie trabt ins Zimmer zurück. Ungläubig hebt sie die Blume auf, riecht an ihr. Der Duft ist süß und voll. Sie stellt die Rose in ihr mit Wasser gefülltes Zahnputzglas, sucht dann, immer noch verwirrt,
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