Tatort Oktoberfest (German Edition)
fuchtelt mit seiner Taschenlampe herum und befestigt die Kette. Claudia fühlt sich unbehaglich.
„Ist das denn wirklich notwendig?“ fragt sie.
Er nickt. „Tut mir leid, das Anketten gehört zu dieser Station. Ich habe natürlich Übung, wenn es mich hinaufzieht. Ich hoffe, Sie kommen damit zurecht. Versuchen Sie, nicht zu zappeln. Der Sender hat uns angewiesen, alles so herzurichten, wie es üblich ist. Keine Ausnahme. Aber wir müssen uns beeilen. Die Bahn wird gleich gestartet, und dann kann ich Ihnen nichts mehr erklären.“
Claudia ruckelt zu der einen, dann zur anderen Seite, ungefähr einen halben Schritt erlauben die Kette und der Untergrund. Mehr Spielraum bleibt ihr nicht. Wie es sein wird, wenn die Kette sie in die Luft hebt, kann sie nur ahnen. Wenigstens kann sie die Arme frei bewegen.
„Wenn ein Wagen die Markierung dort überfährt“, das Gerippe zeigt auf eine kleine, rote Lampe eine Armlänge entfernt, „flammt Licht auf und beleuchtet Ihre Gestalt von unten. Die Zeichnung auf Ihrem Kostüm tritt plastisch hervor, ebenso wie die auf Ihrer Gesichtsmaske, alles andere bleibt im Dunkeln. Sie dürfen jemanden anfassen, jemanden erschrecken, wie Sie wollen. Also, ich lasse Sie jetzt allein. Wie schon gesagt, wenn irgendetwas ist, rufen Sie, ich halte mich unauffällig in Ihrer Nähe auf.“
Claudia versucht, sich bequem hinzustellen. Soweit die enge Plattform dies zulässt, rammt sie ihre beiden Beine fest in den Boden. Bei jeder ihrer Bewegungen rasselt die Kette und quietscht mit einem hohen, durchdringenden, klagenden Ton. Rote und grüne Lichter flammen plötzlich auf, eine Stichflamme schießt wenig entfernt mit einem lauten Zischen aus dem Boden. Ein durchdringender Frauenschrei lässt sie zusammenschrecken, dann rumst etwas zu Boden, und jemand stöhnt herzerweichend. Ketten rasseln, aber es sind nicht ihre. Ein Rudel Wölfe heult in der Nähe, dann verstummt das Gejaule wieder. Sie hört den ersten Wagen heranrumpeln. Die Menschen in ihm johlen und brüllen – wohl auch, um ihre Angst zu übertönen. Sie strengt sich an, die Geräusche zu unterscheiden, auf die immer wiederkehrenden nicht mehr mit Schrecken zu reagieren. Weiter vorn durchzuckt ein Blitz das Dunkel, eine Gestalt wächst in die Höhe, um dann wieder in der Dunkelheit zu verschwinden. Claudia wartet. Sie fühlt sich verdammt unbehaglich. Fledermäuse zischen über ihren Kopf hinweg und verschwinden ebenso plötzlich, wie sie erschienen sind. Auf ihrem Arm stehen die Härchen senkrecht, sie zittert.
Der erste Wagen fährt auf sie zu. Sie hält den Atem an, es kostet Kraft, den Impuls, einfach wegzurennen, zu beherrschen. Dann knallt etwas wie ein Schuss, das Licht blendet auf. Sie ist blind, hört mehr als sie sieht. Das Gefährt bekommt anscheinend gerade noch rechtzeitig die Kurve und ratscht nun dicht an ihr vorbei. Eine hasserfüllte Frauenstimme zischt in italienischer Sprache: „Mörderin, ich kriege dich, sieh dich vor“, als würde der Ausspruch zu diesem Geisterspuk gehören. Ohnmächtig schießt ihr durch den Kopf: Selbst meine Landsleute hassen mich. Oder sollte … Luigis Frau? Die hässlichen Anrufe fallen ihr ein. Sie drängt den Gedanken sofort zur Seite. Der nächste Wagen rast auf sie zu. Wieder kann sie nur Umrisse ausmachen.
„Dreckiges Luder“, „dir Matz zeigen wir’s“, „blöde Hexe“ und anderes mehr wird ihr entgegengeschleudert. Dio. Sie erstarrt. Aus dem nächsten Wagen trifft sie ein kalter Gegenstand. Er zerplatzt mit einem Knall auf ihrem Körper, Nässe breitet sich aus. Als auch aus dem nächsten Fahrzeug Gegenstände auf sie geworfen werden, will sie wegrennen. Sie zerrt an der Kette. Wieder blendet das Licht, sie schließt die Augen, hört den Wagen, merkt, wie etwas Hartes gegen ihren Leib prallt, hält die Hände vor die Brust. Da wird sie hochgerissen, der Boden unter ihr tut sich auf, Flammen zischen empor, sie schwebt in der Höhe über ihnen, schreit, während der Wagen durch das Inferno rast. Wie unter einem Deckel verschwindet das Feuer. Der Kettenzug lockert und senkt sich, und sie wird auf den Boden geschleudert.
Jetzt hängt sie in der Kette wie eine zerbrochene Puppe. Ihre Füße tasten nach dem Boden, erreichen ihn nicht. Je mehr sie versucht, sich wieder aufzurappeln und die Plattform mit den Füßen zu erreichen, desto mehr gerät sie ins Schaukeln. Der nächste Wagen rattert auf sie zu. Diesmal ist es Spucke, die sie ins Gesicht trifft, weil ihr Kopf vornüber
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