Tatort Oktoberfest (German Edition)
Fernsehmoderatorin ruft: „Claudia, Sie werden Ihr schönes Dirndl nicht brauchen, Sie werden es tauschen müssen gegen ein Kostüm. Erraten Sie schon, wo Claudia sich bewähren muss?“ Eine Frau bringt der Moderatorin eine Schachtel, die sie öffnet. Sie entnimmt ihr mehrere Kostüme. Auf Anhieb ist nicht zu erkennen, was die einzelnen Köpfe darstellen. Erst beim Hochhalten kann Claudia sehen, dass es sich bei dem einen um einen gelben Echsenkopf handelt, bewehrt mit einem überdimensional großen Maul, schon eher einem Schlund. „Dieses?“ fragt die Ansagerin, Kopfschütteln bei den Musikern. Claudia atmet auf. Die nächste Maske entpuppt sich als noch gruseliger. Ein elefantenähnliches Haupt, in dessen Mitte sich eine verschrumpelte Nase breitmacht, darüber bluttriefende Augen und darunter ein breites Maul mit hässlichen Hauern. Wieder sieht die Ansagerin die Musiker fragend an, und als die erneut den Kopf schütteln, zieht sie ein weiteres Kostüm aus der Schachtel.
Ein schwarzes Etwas, an dem am oberen Ende eine Totenmaske angebracht ist. Sie hält das Ganze hoch. Das Licht flackert, es wird dunkel im Zelt. Ein Heulen schwillt an, das Gerippe leuchtet, wahrhaft schaurig in Szene gesetzt, diabolisch für den Bruchteil einer Sekunde auf. Dann wird es wieder hell. Alle brüllen: „Ja, ja, ja“ und trampeln mit den Füßen. „Okay, okay, ihr habt eine Wahl getroffen. Der Tod, der Boandlkramer. Claudias Rolle. Und wo? Auf geht’s zur Geisterbahn! Sichert euch schnell euren Platz in einem der Wagen. Natürlich kostet es ein wenig mehr, schließlich dürft ihr die Geister anfassen! Und denkt’s dran, euer Beitrag hilft armen Kindern, also zögert’s nicht. Eure Bedienung hält Karten für euch bereit.“
Claudia wird auf die Bühne gebeten, und anders als an den anderen Tagen begleiten Buhrufe ihren Weg. Sie schaut ernst, dann beißt sie sich auf die Lippen und lächelt. Die Presse hat ganze Arbeit geleistet. Diesen Triumph wird sie den Massen nicht gönnen. Sie wird ihre Fassung wahren, sie wird sich keine Blöße geben. Sie wird den Abend durchstehen, wie auch immer. Die öffentliche Meinung ist eine Hure, fällt ihr ein, irgendwo gelesen zu haben. Sie reckt ihren Kopf in die Höhe und nimmt stolz das Kostüm entgegen wie ein Schwert, das ihr verliehen wird.
„Folgen Sie mir.“ Die Regieassistentin zieht sie mit sich, nachdem Claudia sich dreimal in das Buhen und die Rufe: „Schleich di“ hinein verbeugt hat. In einem Nebenraum zur Küche streift sie das Kostüm, das sich hauteng um ihren Körper spannt, über. Als ihr die Assistentin die Gesichtsmaske überstülpt, hat sie einen Wimpernschlag lang das Gefühl, ersticken zu müssen. Dann rückt sie selbst den dehnbaren Stoff zurecht, ihr Mund wird frei, und sie zieht die von Küchendunst gesättigte Luft ein wie eine Ertrinkende. Ein Mantel wird ihr gereicht. „Kommen Sie.“ Wie schon die anderen Male hasten sie hinter den Zelten hindurch, bis sie an eine unscheinbare Tür im Rückbereich der Geisterbahn gelangen. Ein Mann erwartet sie – ebenfalls als Tod verkleidet. Die Augen hinter den Schlitzen seiner Maske mustern sie kritisch, ein Lächeln kann sie nicht in ihnen erkennen. Jetzt hätten sie mich auch gleich zur Hinrichtung bei Schichtl führen können, fällt ihr unsinnigerweise ein, und der Gedanke erheitert sie.
„Ich zeige Ihnen Ihren Platz“, nuschelt das Gespenst ihr zu, und sie klettern über Drähte, Schienen und an abenteuerlichen Drachen, Echsen oder sonstigen aus der Science-Fiction-Welt entlehnten, abstoßenden Figuren vorbei. Als bei einer von ihnen ein Arm mit Wolfskrallen vorschnellt und sie streift, zuckt sie fast hysterisch zusammen, bis sie sieht, dass der Arm wieder mechanisch zurückgleitet, wenn das Lämpchen bei der Figur erlischt. Langsam gewöhnen sich ihre Augen an das Dämmerlicht, und sie erkennt etwas besser, dass sie dem Schienenzickzack folgen und nur ab und an abweichen, um abzukürzen. „Warten Sie. Stellen Sie sich hierher.“ Er weist auf einen viereckigen Fleck aus Metall in der Größe einer Fußmatte.
„So?“
„Ja, so ist es gut. Einen Augenblick.“ Er holt von oberhalb eine großgliederige Kette herunter. Claudia blickt ihn fragend an. „Ich befestige sie um Ihre Taille, sie hängt an einem Zug, und in gewissen Abständen werden Sie damit hochgezogen, so dass Sie über den Wagen schweben. Keine Angst, es passiert nichts. Außerdem bin ich in der Nähe, und Sie können nach mir rufen.“ Er
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