Tatort Oktoberfest (German Edition)
exquisiten Zutaten, das Ausprobieren neuer Kreationen hat sie sich offensichtlich zu weit vorgewagt in Welten, die eigentlich nichts mehr mit dem zu tun haben, wovon sie am Anfang träumte. Ein einfaches Gericht? Nein. Sie hat ein kompliziertes Gericht so aussehen lassen wie ein einfaches. Doch besser ist es, ein wahrhaft einfaches Gericht zu kreieren. Diesen Grundsatz hat sie verletzt. Ihr Vater hat recht. Sie muss zurück zu den Wurzeln. Sie wird … Der Sender lässt sie nicht aus dem Vertrag, so what? Sie wird diesen Ausscheidungskampf bis zum Ende bestreiten. Vielleicht eine Möglichkeit, wenigstens ein paar Leuten, die es verstehen, zu zeigen, was wichtig im Leben ist. Ja, das ist eine Chance, vielleicht ihre letzte. Gleichzeitig wird sie allen beweisen, dass sie keine Mafiosi-Braut ist. Sie lacht bitter auf. Welch ein Unsinn. Sollen sie doch glauben, was sie wollen.
Bis zum Abend ist noch Zeit zum Verschnaufen. Vielleicht sollte sie mit Ludwig nach Herrenchiemsee fahren und ihm das Schloss zeigen. Nein, zu weit. Einfach die Wanderschuhe und den Rucksack packen und kraxeln gehen, Bergluft schnuppern, dem Himmel nah sein. Ob Ludwig das ebenfalls gefallen würde? Nun, sie würde ihm ihre Liebe dazu schon vermitteln. Ihr fallen die Rotbarben ein, die vorbereitet werden müssen. Sie beschließt, erst einmal in der Küche nach dem Rechten zu schauen. Mit diesem Vorsatz steht sie auf und tritt an eines der Restaurantfenster, die zur Straße führen. Drüben auf der anderen Seite hasten die Menschen einer nach dem anderen in den Bürokomplex. Wie ein Ungetüm scheint er die Menschen zu schlucken.
Plötzlich knallt es auf der anderen Seite des Gastraumes, gleich darauf splittert Glas. Unwillkürlich duckt sie sich, als sie einen Schatten vor ihrem Fenster auftauchen sieht. Ein Pflasterstein kommt, begleitet von Glassplittern, auf sie zu und rollt ihr vor die Füße. Sie weicht zurück. Ein Knallkörper explodiert. Gelber Rauch hüllt den Raum sofort in dichte Nebelschwaden. Sie hustet. Aus den gelben Wolken taucht ihr Chefkellner auf, das Gesicht sorgenvoll verzogen. „Claudia, ist Ihnen was passiert?“
„Nein, es ist nichts“, würgt sie hervor. Zusammen laufen sie durch die gelbe Wolke zur Tür, reißen sie auf. Claudia zieht Luft in ihre Lungen, blinzelt auf die Straße. Drei Jugendliche rennen um die Ecke weiter vorn, sie tragen Springerstiefel und Fliegerjacken und grölen bei ihrem Veitstanz.
„Sollen wir die Polizei verständigen?“ fragt ihr Angestellter, sie noch immer am Arm haltend, als sie zurück in den Gastraum gehen. Der Rauch verzieht sich durch die offene Tür. Erst jetzt fällt ihnen die Schrift auf einem der noch heilen Fenster ins Auge: „Ausländer raus!“
„Ich rufe den Hauptkommissar an, oder? Ach, lassen wir das, rufen Sie den Glaser an, er soll die Scheiben reparieren, und geben Sie mir einen nassen Lappen, ich wische die Schrift weg.“
„Wenn Sie meinen, Chefin.“
„Wir melden den Glasschaden der Versicherung. Ich will keinen Ärger. Haben wir für heute viele Reservierungen? Bitte schauen Sie nach, oder warten Sie, das mache ich selbst. Ich rufe die Leute an und sage, wegen des Wettbewerbs schließen wir heute.“ Sie schnappt sich das Reservierungsbuch und ist froh, dass die abzuarbeitende Liste nicht so lang ausfällt, wie sie angenommen hat. „Frau von Niedermaschken, schön, dass ich Sie gleich erreiche, hier ist Claudia Fioretti, wegen Ihrer Reservierung für heute Abend … Ach, Sie wollten sie sowieso stornieren? Gut, dann bis zum nächsten Mal, ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.“ Bevor Claudia den Nächsten anrufen kann, klingelt das Telefon. „Fioretti hier. Ach, die Reservierung. Verstehe. Natürlich, Herr Stein. Tut Ihnen leid. Ja, mir auch. Auf Wiedersehen.“ Sie hat den Hörer noch nicht aufgelegt, als eine keifende Frauenstimme sie mit scheußlichen, italienischen Flüchen belegt. Claudia lässt geschockt das Telefon fallen. Die Stimme bellt weiter ihre Verfluchungen. Der Chefkellner hebt den Apparat auf und stellt ihn in die Station zurück. Sie sieht, dass er blass geworden ist. Die Stimme verstummt. Claudia setzt sich.
„Soll ich die Rotbarben waschen?“ platzt ihre Küchenhilfe in die Stille hinein, bleibt stehen, zeigt auf die kaputten Scheiben und den Stein. „Ich hole einen Besen.“
Nach einer Weile greift Claudia wieder zum Telefon und arbeitet sich weiter durch die Reservierungen. Immer, wenn sie eine kurze Pause einlegt, bimmelt es
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