Tatort Oktoberfest (German Edition)
schleicht er sich an die Tür, und mit der Klinge seines Taschenmessers ist es tatsächlich ein Kinderspiel, das Schloss zu öffnen. Er huscht hinein, linst vorsichtig durch die halboffene Tür in das Schlafzimmer. Claudia liegt auf dem Bett, ihr Kopf ist im Arm geborgen. Er wagt sich einen Schritt näher heran, bleibt sicherheitshalber noch im Türrahmen stehen, beobachtet eine Weile, wie sich ihr Busen ruhig hebt und senkt. Eine Welle der Erregung erfasst ihn, und er möchte ihr kurzes Hemd hochstreifen und sie näher betrachten, einfach so. Aber das traut er sich nicht, also nimmt er das Bild in sich auf, bevor er nach dem Handy Ausschau hält. Dort auf dem Sessel neben dem Bett liegt es. Sie hat es bislang nicht entdeckt, es muss ihm aus der Hosentasche gerutscht sein, als er seine Jeans über den Sessel legte. Er steckt es ein. Dann schleicht er sich vorsichtig hinaus. Als er die Tür hinter sich zuzieht, bimmelt sein Handy. Er zieht scharf den Atem ein. Hoffentlich wird Claudia nicht wach. Er klappt es schnell auf und meldet sich. „Ja?“
Es ist Patrick, der ihm sagt, dass er gleich eintrifft, um ihn abzuholen. „Gut“, sagt er nur und ist schon fast auf der Straße.
Wiesn-Sonntag
„Hallo Heimstetten, hier di Flavio. Danke für Ihre Gastfreundschaft. Ich habe meine Freunde nicht treffen können, so dass ich heute wie vorgesehen am Nachmittag fliegen kann. Denken Sie daran, Sie haben einige Tage auf Mallorca gut. Rufen Sie mich an, wenn es so weit ist.“
Die Sonne leuchtet den Fernsehturm in seiner vollen Höhe aus. Der Verkehrslärm des mittleren Ringes, an anderen Tagen ein dumpfes Brummen, säuselt heute sonntäglich. Aus dem eingeschalteten Fernseher plätschert eine optimistische Stimme, euphorisch beschreibt sie den gerade laufenden Trachtenumzug durch die Innenstadt: „Wie immer am ersten Wiesn-Sonntag sind wir bei diesem einmaligen Umzug mit dabei. Auch in diesem Jahr ein Trachtenzug der Superlative. Die über 8.000 Mitwirkenden ziehen in Originaltrachten durch die festlich dekorierten Münchner Straßen, begeistert bejubelt von Tausenden von Menschen am Straßenrand. Der erste Umzug dieser Art fand 1835 zu Ehren der Silberhochzeit von König Ludwig, nein, nicht von Ludwig II., dem Märchenkönig, sondern von Ludwig I., mit Therese von Bayern statt. Und wir sind stolz, dass er in dieser Form nach dem Zweiten Weltkrieg wieder regelmäßig seit 1950 veranstaltet wird …“ Die Bilder dazu laufen fast unbeteiligt wie ein Muster über den Schirm.
„Commissario, legen Sie noch nicht auf. Ich bin froh, dass Sie noch nicht auf Mallorca sind. Wir haben eine Leiche, einen Mord, und das in Zusammenhang mit dem Wiesn-Wettbewerb. Der Tote ist italienischer Abstammung. Ein Luigi Rezzo. Den Täter müssen wir anscheinend im rechtsradikalen Lager suchen.“
Di Flavio holt tief Luft, seine Hände klammern sich um sein telefonino, als könnte es ihm Halt geben.
„Sind Sie noch dran, di Flavio? Haben Sie mich verstanden, oder sind Sie gerade in einem Funkloch? Passiert nämlich manchmal durch den Turm. Soll ich noch mal wiederholen?“ hört er den jungen Heimstetten besorgt fragen.
„Nein“, presst er mühsam heraus, „schon in Ordnung. Der Tote ist tatsächlich Luigi Rezzo?“
„Ja, wir haben die Leiche in der Brauerei, seinem Arbeitsplatz, gefunden. Der Fundort scheint nicht der Tatort zu sein. Der Tod ist vor etwa zwei Tagen eingetreten. Das genaue Obduktionsergebnis bekommen wir morgen. Wegen der Wiesn sind entweder alle in Urlaub oder bereits anderweitig im Einsatz. Seine Frau haben wir noch nicht informiert. Wegen der Drohung haben wir uns schon mal mit der berühmten Claudia unterhalten. Sie will ihn das letzte Mal vor einer Woche gesehen haben. Aber irgendein Italiener ist gestern Abend bei ihr aufgetaucht und hat nach Luigi gefragt.“
„Wie ist es geschehen?“
„Zwei Schüsse aus naher Entfernung in die Brust. Der Zweite offensichtlich tödlich. Komischerweise wenig Blut. Aber das wird der Doktor sicher noch klären. Ich habe Hauptkommissar Wimmer gestanden, dass sie privat noch hier sind und Urlaub machen. Er schlug vor, Sie nochmals herzubitten. Ich hoffe, Sie erschlagen mich nicht.“
„Nun ja, eventuell würde Sie vielleicht meine Frau Erica lynchen, aber Sie weiß ja nicht, dass sie mich eigentlich schon früher nach Hause schicken wollten. Und ich bin nicht sicher, ob sie mich überhaupt vermisst.“ Dieser umständliche Diskurs verschafft ihm Zeit, seine Gedanken zu ordnen.
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