Tatort Oktoberfest (German Edition)
„Ich kenne Luigi Rezzo. Ich war gestern bei Claudia Fioretti im Restaurant und habe mich nach ihm erkundigt“, gesteht er.
„Oh“, sagt Heimstetten nur.
„Finde ich Sie in der Ettstraße?“
„Ja. In einer halben Stunde ist eine Sondersitzung anberaumt, und es wird eine Soko gegründet. Zimmer Nr. 312. Sie werden einiges erklären müssen.“
„Bene. Bin schon unterwegs.“
Im Fernsehen hat die Stimme des Sprechers zwischenzeitlich an Begeisterung zugenommen. „Gleich biegt der Zug mit den prächtig geschmückten Wagen in die Sonnenstraße ein. Dahinter spielt eine Fanfarengruppe auf. Sie kommt aus Norditalien, aus einem Ort in der Nähe von Mailand. Wie immer weilen Gäste aus aller Herren Länder bei uns. Natürlich aus unseren Nachbarländern Österreich, der Schweiz und Italien. Dabei aber auch Trachtler aus Norwegen, Polen, Ungarn, und sogar die Vereinigten Staaten haben Musikgruppen geschickt. Wir freuen uns ganz besonders, sie alle begrüßen zu können.“ Di Flavio schaltet das Gerät ab und wendet sich zum Gehen. Luigi. Er wird tatsächlich einiges erklären müssen. Seine Kollegen werden nicht sonderlich begeistert sein, wenn er ihnen eröffnet, dass Luigi für ihn als Informant gearbeitet hat. Man wird aufschreien: „Wie kommen Sie dazu, Sie hätten uns einschalten müssen.“ Natürlich würden die gleichen Proteste auch von ihrer Seite kommen, wenn … Aber er ist als europäischer Polizist eingesetzt, und da ist einiges anders als im lokalen Bereich.
Als er zur U-Bahnstation marschiert, trotten vor ihm zwei Jugendliche. Er beeilt sich, sie zu überholen. Unwillkürlich schaut er sich noch einmal um. Aber er hat schnell einige Meter gutgemacht und eine gewisse Entfernung zwischen sich und die Burschen gebracht. Es besteht keine Gefahr mehr. Er überlegt, ob er die beiden, die ihn neulich überfallen haben, erkennen würde. Er ist unsicher. Bei den Vernehmungen erwarten sie, dass die Leute sich irgendetwas merken, eine Auffälligkeit, woran sie die Täter erkennen, womit sie sie dingfest machen können. Er dachte bisher, er hätte ein geschultes Auge für Menschen. Aber die beiden Burschen, die er gerade überholt hat, könnten es sein oder auch nicht. Er kann sie nicht beschreiben und würde sie nicht wiedererkennen.
Zwei junge Mädchen im Alter von 13 oder 14 Jahren kommen ihm von der U-Bahnstation entgegen. Wie unterscheiden sie sich? Beide sind ebenso angezogen wie schon die beiden Mädchen neulich, die mit ihrem Wiener Vater die BMW-Welt besichtigt haben. Aber was denke ich über Teenager nach, ich sollte lieber an Luigi denken. Ob ich nachher kurz bei seiner Frau vorbeifahre? Arme Frau und armes, kleines Kind. Was, wenn sie erfährt, dass ihr Mann ein Informant war und schon dadurch gefährlich lebte? Kann es für sie ein Stigma sein? Was wissen wir überhaupt von ihrer Familie? Ihm fallen die Frauen in schwarzen Kleidern ein, die auf das Grab eines Mannes spuckten, weil er für die in ihren Augen falsche Seite arbeitete. Vielleicht ist es besser, sie glaubt, er hat sie nur betrogen. Zweifel erfassen ihn.
In der Innenstadt angekommen, drängt sich di Flavio am Marienplatz durch die Menschenmenge. Er richtet, dem allgemeinen Sog folgend, ebenfalls einen Moment lang seinen Blick nach oben zum Rathausturm, wo beim Glockenspiel der schwarze Ritter den weißen Ritter fast aus dem Sattel stößt. Die Rathausuhr zeigt kurz nach elf Uhr. Er reißt sich von dem Schauspiel los, hastet weiter. Als ihm beim Café Rischart der Duft von Frischgebackenem die Nase kitzelt, bedauert er, keine Zeit für ein Hörnchen und einen Cappuccino zu haben.
Beim Wachhabenden an der Pforte des Polizeipräsidiums weist er sich aus, um dann die Treppen in den dritten Stock hinaufzusteigen. Oben angekommen, schwitzt er und ärgert sich, nicht den Lift genommen zu haben. Kurz drängt sich ihm der Vergleich zu dem alten Palazzo in Tropea auf. Das Gebäude verfügt nur über ein Stockwerk. Oben liegt der große Saal mit dem prächtigen Balkon, auf dem immer die Wahlveranstaltungen zelebriert werden und unten sein ebenerdig gelegenes Büro. Aber was ist seine Heimatstadt mit 7.000 Einwohnern gegen eine Millionenstadt wie München? Ein Klacks, so viele Menschen hat hier schon manche große Wohnanlage vorzuweisen, wie er von Julia weiß. Großer Gott, er hat sich nicht bei ihr gemeldet und sich für ihre Krankenfürsorge bedankt. Was wird sie von ihm denken?
Als er das Sitzungszimmer betritt, stehen
Weitere Kostenlose Bücher