Tatort Oktoberfest (German Edition)
bereits zurückgeschickt haben. Du kennst ja den Amtsschimmel und weißt, wie das mit dem Papierkram ist. Wenn du uns noch ein paar Tage deines Urlaubes schenkst und dich unauffällig beim Oktoberfest umschaust? Ich bitte dann unseren Präsidenten, das unter der Hand mit deinem Vorgesetzten zu regeln. Ist das ein Angebot? Du kanntest den Ermordeten, er ist ein Landsmann. Du könntest dich ja auch krankmelden, fällt mir ein.“
Wimmer zeigt auf seinen Verband an der Stirn und klopft ihm kameradschaftlich auf die Schulter, nimmt den Stapel Papiere und verlässt mit einem: „Bitte Heimstetten, kümmern Sie sich um den Rest und bitte auch um unseren Kollegen. Entschuldige, Tino“, den Raum.
Heimstetten blickt etwas betreten drein. „Der Boss ist unter argem Stress. Es war halt meine Idee, Sie … Außerdem, was soll er Ihnen Vorschriften machen, Sie sind ein alter Hase, oder?“
Von wegen: „Sieh dich einfach auf dem Oktoberfest um, Tino.“ Fünf Minuten später, di Flavio will gerade das Präsidium verlassen, erwischt ihn Wimmer auf dem Flur. „Ich weiß, es ist fast unverschämt von mir. Aber du kanntest Luigi doch. Bitte, kannst du ihn identifizieren? Und würdest du bei seiner Frau vorbeifahren? Du weißt ja, wo sie wohnt.“ Also gleich zwei Aufgaben, vor der sich jeder Kommissar fürchtet. Meist kennt man die ermordete Person wenigstens nicht. Nicht nur unangenehm, sondern auch noch schmerzlich. „Ich gebe dir einen Streifenwagen, er bringt dich zum Leichenschauhaus und dann zu Frau Rezzo. Danke. Die Zeit läuft mir einfach davon. Der gesamte Einsatz beim Oktoberfest, du verstehst …“
Jetzt steht er vor dem toten Luigi, der nackt auf dem blanken Stahl liegt und eigentlich sehr friedlich aussieht. Seine Augen sind geschlossen, so als würde er schlafen. Selbst die beiden Löcher in der Brust sehen gesäubert gar nicht unpassend aus. Unnormal ist nur, dass Luigi nicht mehr lebt. Wut ballt sich in di Flavio auf und verursacht Druck in seinem Magen. Wut auf den oder die Täter, die es wagen, jemanden einfach zu töten. Er wird sie finden. Seine Finger krampfen sich zur Faust. Bei Luigis Sachen, die er vor dem Besuch im Leichenschauhaus im Präsidium noch in Augenschein nahm, war nichts Besonderes gewesen. Schlüssel, ein paar Zettel, Streichhölzer eines italienischen Restaurants, er hatte sich den Namen aufgeschrieben, Führerschein, Ausweis, eine Kreditkarte und etwas Geld. „Kein Handy?“ fragte er.
„Nein.“
Di Flavio erinnert sich an seine letzte Begegnung mit Luigi auf der BMW-Veranstaltung. Beim Hinausgehen aus der Toilette hatte Luigi ihn am Ärmel gestreift und gemurmelt: „Besser nicht hier, ich rufe dich morgen an“ und war gleich weitergeeilt. Niemand hatte sie wirklich zusammen gesehen, warum also der Überfall auf ihn? Oder war noch jemand in der Toilette gewesen? Di Flavio versucht, sich das Bild dazu einzufangen, während der ihm zur Verfügung gestellte Polizeiwagen den mittleren Ring in Richtung Schwabing entlangrauscht. Zwei Männer standen vor den Urinalen. Vor seinem geistigen Auge erscheinen nur deren Rücken. Einer in diesen dreiviertellangen Lederhosen, der andere in einem dunklen Anzug. Richtig, er hatte sich noch über den Gegensatz amüsiert. Aber das besagt nicht sehr viel. Beim Empfang waren Hunderte Menschen gewesen, und viele trugen diese Lederhosen und viele andere Anzüge. Der Anzugmann war eher klein, schmal, um die dreißig, hatte dunkle Haare, deren Ansatz spitz nach hinten verlief, sich etwas kringelte und erst weiter unten im weißen Hemdenkragen mündete. Di Flavio notiert sich die Dinge in sein kleines Notizbuch.
„Könnten Sie mich bereits hier rauslassen und warten? Ich möchte ungern mit einem Streifenwagen bei Frau Rezzo vorfahren.“ Der Beamte nickt und hält wunschgemäß in der Nähe des U-Bahnhofes Bonner Platz. Er steigt aus und marschiert in Richtung Speyerer Straße. Passanten in Tracht kommen ihm entgegen. Der kleine Park gegenüber dem Haus wirkt verlassen. Die Zeit der Hundehalter scheint vorbei. Nach seiner Uhr geht es auf zwei zu. Als er auf den Klingelknopf drückt, tritt erneut jemand aus dem Haus und fragt: „Zu wem wollen Sie?“
„Zu Frau Rezzo.“
„Bitte“, meint der Mann und hält ihm die Tür auf.
„Ich warte lieber, bis der Summer ertönt“, antwortet er, auch weil er an die vielen Treppen denkt und insgeheim hofft, dass Luigis Frau nicht zu Hause ist. Doch es summt, und er schluckt den Speichel herunter, der sich in
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