Tatort Oktoberfest (German Edition)
mitzunehmen.“
„Ein Viertelstündchen werdet ihr mir doch gönnen“, versucht er es nochmals lächelnd. Doch die Mienen seiner Gegenüber bleiben ernst.
„Bitte, Herr di Flavio. Hauptkommissar Wimmer erwartet Sie dringend.“
„Na gut“, seufzt er und folgt den Polizisten zum Fahrstuhl. Nicht weit vom Hausausgang entfernt, in der unterirdischen Straße, wartet ein Streifenwagen. Wenigstens braucht er nicht wieder mit der U-Bahn zu fahren.
Ludwig bereut sein Versprechen. Es bringt ihn in eine verzwickte Lage. Claudia ist ihm böse. Kann er sogar verstehen, von wegen Vertrauen und so. Zwischen richtigen Kumpels gibt es keine Geheimnisse. Und zwischen Männern und Frauen? Darin hat er keine Erfahrung. Aber anscheinend auch nicht, sonst wäre Claudia nicht so wütend auf ihn. Das heißt, geschimpft hat sie nicht, aber sie war plötzlich so anders, so fremd. Es tut weh. Er würde ihr gern erklären, dass der Schwur unumgänglich war. Sonst hätte der Commissario ihn mit in das Kommissariat genommen, und die Polizei hätte ihn eingesperrt. So sieht es aus. Ludwig überlegt.
Ist es nicht neulich in einem dieser alten Filme um Ähnliches gegangen? Um ein Versprechen? Man durfte seinen Schwur brechen, wenn er unter Zwang abgelegt worden war. Richtig. Hatte der Commissario ihn gezwungen? Nein. Oder? Welche Wahl blieb ihm? Natürlich wurde er gezwungen. Ihm drohte die Verhaftung. Eindeutig. Er fasst sich an den Kopf. Dass er nicht gleich darauf gekommen ist. Es besteht kein Grund zu schweigen. Er kann Claudia alles erzählen, und sie wird sich nicht mehr so eigenartig kühl verhalten.
Ludwig zieht den Teller mit den Spaghetti, den der Kellner bereits vor einer Weile vor ihn gestellt hatte, zu sich heran. Plötzlich ist er hungrig wie ein Bär und isst mit Appetit. Die Tomatensoße schmeckt besser als alle Tomatensoßen zu Hause. Claudia hat wirklich dufte Leute in ihrer Küche; er könnte sie fragen, ob er bei ihr lernen kann. Dann wäre er immer in ihrer Nähe. Und wenn er mal seine Kumpels in Berlin besucht oder sie ihn, wird er für sie kochen. Sicher wird er bis dahin eine solche Soße hinkriegen. Zufrieden schaufelt Ludwig die Nudeln in sich hinein. Als er den leeren Teller beiseiteschiebt, trifft Claudia ein. Blass und mit sorgenvoller Miene schmettert sie einen Stapel Zeitungen auf den Tisch. Der Kellner steht in der nächsten Minute bei ihnen. „Für dich auch Spaghetti?“ fragt er, und sie nickt.
„Ja, ich brauche was Tröstendes. Der Wind hat sich gedreht. Der überwiegende Teil der Presse fällt über mich her. Einige stellen mich regelrecht an den Pranger, als würde ich Luigi erschossen haben. Ich weiß nicht, was ich machen soll.“ Sie stützt den Kopf in die Hände. „Ich bin erschöpft und mutlos. Am besten, ich blase unter diesen Umständen die ganze Geschichte mit dem Wettbewerb ab.“
„Aber das wollen die doch nur erreichen, Claudia. Halt durch, wir stehen hinter dir.“ Der Kellner wirft Ludwig einen eigenartigen Blick zu, so als würde er sagen: „Du gehörst ebenfalls zu den Problemen, also verzieh dich lieber.“
Ludwig seufzt. Er schaut ihm nach. Als er ihn in sicherer Entfernung weiß, rutscht seine Hand rüber und streichelt sacht über Claudias Haar. Wie weich es sich anfühlt und wie angenehm. Am liebsten würde er sich neben sie setzen, um sie in den Arm zu nehmen. Ihre Tränen machen ihn traurig. Er fühlt sich elend. Er schwört sich – und diesen Schwur wird er halten – sie zu beschützen. „Bitte, Claudia, ick will dir wat sagen. Aber nich hier, oben bei dir, wenn du mit dem Essen fertig bist, ja? Deine Frage von vorhin, im Auto …“
Sie schaut ihn einen Moment lang an wie ein verwundetes Tier, wie ein Hund, der getreten wurde. Ganz sacht wischt er ihr die Tränen ab, die noch in ihren langen, dunklen Wimpern hängen und den kleinen schwarzen Streifen auf der Wange, der wohl von der Wimperntusche herrührt. „Ach Ludwig.“ Zärtlich schaut sie ihn an, dann greift sie nach der Gabel. Zufrieden schaut er ihr beim Essen zu. Bereits nach der Hälfte des Gerichts schiebt sie den Teller beiseite und steht auf. Ludwig folgt ihr. Oben in der Wohnung drückt sie ihn auf die weiße Couch. „Ich mache mir einen Espresso, komme gleich wieder.“ Kurze Zeit später erscheint sie mit einem Tablett, auf dem ein Espresso und für ihn eine Cola steht. Sie lässt sich auf den Sessel plumpsen und schaut ihn erwartungsvoll an, während sie ihren Kaffee schlürft. Er druckst herum.
Weitere Kostenlose Bücher