Tatsache Evolution
Urwald hatte sich in seinem Bewusstsein fest verankert. Das Tierleben in der freien Natur »offenbarte« Wallace ein von ihm entdecktes neues Naturgesetz.
Abb. 1.8: Skizze eines Süßwasserfisches (Wels, Familie Doradidae), die Alfred Russel Wallace beim Schiffsunglück 1852 vor den Fluten retten konnte (A). Nahezu alle anderen Gegenstände versanken im Meer, so dass der Naturforscher bei seiner Rückkehr aus Brasilien mittellos in England ankam. Die untere Abbildung zeigt Überlebensstrategien bei Insekten nach A. R. Wallace (B, C). Eine verbreitete Motten-Art (B) enthält chemische Abwehrsubstanzen , die das Insekt für Fressfeinde unvertilgbar machen. Dieser Falter wird durch eine zweite, nicht giftige Spezies imitiert (C, nach Originalzeichnungen von A. R. Wallace).
Abb.1.9: Reproduktion des Titels und des ersten Abschnittes der Darwin-Wallace-Originalpublikation , veröffentlicht am 20. August 1858 im Fachjournal
Proceedings of the Linnean Society London, Zoology
, Band 3, Seiten 45 – 62. Im ersten Satz wird hervorgehoben, dass es hierbei um die »Gesetze, die für die Produktion von Varietäten, Rassen und Arten verantwortlich sind« geht. Darwin und Wallace werden im Text lobend als »zwei unermüdliche Naturforscher« bezeichnet (Hauptinhalte s. Abb. 1.13).
Innerhalb weniger Tage fasste Wallace seine revolutionäre Theorie unter dem Titel
On the Tendency of Varieties to Depart
Indefinitively from the Original Type
(»Über die Tendenz der Varietäten, sich unbegrenzt von ihrem ursprünglichen Typus zu entfernen«) zusammen. Am 9. März 1858 sandte er seinen Essay von der Molukken-Insel Ternate mit einem Begleitbrief an den Privatgelehrten Charles Darwin im englischen Kent, mit dem er seit zwei Jahren einen Briefwechsel pflegte. Als die |38| »Urwald-Sendung« drei Monate später bei Darwin ankam, löste dieses Manuskript bei dem introvertierten Naturforscher eine Schockreaktion aus – obwohl der Begriff »Natural Selection« dort nicht vorkam, enthielt diese Abhandlung nach Darwins damaliger Ansicht eine im Prinzip gleichartige Theorie zur Arten-Transformation durch natürliche Auslese, wie sie der 49jährige Brite unveröffentlicht seit zwei Jahrzehnten in der Schublade vorliegen hatte.
Das 20-seitige Manuskript von Wallace enthält, ausgehend von den Thesen des Sozialökonomen Malthus (Abb. 1.6), die klare Schlussfolgerung, dass das Leben wilder Tiere ein Kampf ums Dasein sei: »The life of wild animals is a struggle for existence .« Eine einfache Kalkulation zeigt, dass sich die Tiere im Freiland »in geometrischer Rate« vermehren; ohne eine »Bevölkerungsbremse«, bei der die schwächeren und weniger perfekt organisierten untergehen, würde die Natur aus dem Gleichgewicht kommen: »A simple calculation will show that in fifteen years each pair of birds would have increased to nearly ten millions! … It is evident, therefore, that each year an immense number of birds must perish« (Übersetzung s. Abb. 1.13). Weiterhin führte Wallace in seinem Manuskript das Konzept der Anpassung (Adaptation) an die Umwelt ein und illustriert diese These am Beispiel der Tarnfärbung von Insekten (Abb. 1.8 B, C).
Darwin fasste in großer Eile zwei seiner unpublizierten Manuskripte zusammen, in denen er das Prinzip der Abstammung mit Abänderung durch natürliche Selektion umrissen hatte. In seinem Aufsatz spricht er u. a. von »Millionen an Generationen, die verstreichen müssen, um Änderungen in der Zusammensetzung wild lebender Populationen herbeizuführen «. Weiterhin geht er auf das Konzept der geschlechtlichen Zuchtwahl (sexuelle Selektion) und die künstliche Selektion (Tierzucht) ein. Auch Darwins Konzept des Aussterbens von Arten wird hier schon thematisiert: Der Naturforscher vertrat die Ansicht, dass neue Arten die existierenden, weniger geeigneten Lebensformen verdrängen: »Each new vatiety or species, when formed, will generally take the place of, and thus exterminate its less well-fitted parent« (Übersetzung s. Abb. 1.13).
Abb. 1.10: Alfred R. Wallace contra Charles Darwin, illustriert am Beispiel der Evolution der Langhalsgiraffe (
Giraffa camelopardalis
). Die ständig von Löwen bedrohten Giraffen-Herden fressen den ganzen Tag über, wobei die Tiere von Baum zu Baum ziehen und hierbei nur die oberen Blätterschichten abweiden, obwohl sie auch weiter unten fressen könnten. Eine aktuelle Untersuchung hat ergeben, dass Giraffen durch Abweiden der obersten Blattlagen die Konkurrenz zu
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