Taubenjagd: Jimmy Veeders Fiasko
zur Tür und stieg aus. Als er sah, dass ich mich nicht rührte, schaute er in den Wagen und sah mich an wie ein Kind oder einen Schwachsinnigen oder ein schwachsinniges Kind.
Ich sagte: »Du verstehst das vielleicht nicht – usted no comprendo –, aber dieser Gringo hier fühlt sich nicht so ganz wohl in Gegenwart der mexikanischen Polizei. No me gusto la Policía de México . Tomás kann doch im Wagen mit mir sprechen.«
»Glaubst du etwa, du hast eine Wahl?«, waren die einzigen Worte, die Big Piwi von sich gab. Es hörte sich an wie das Trompeten eines halbwegs der Sprache mächtigen, tätowierten Mastodons.
Ich stieg aus und folgte ihm zur Tür.
Die Wände des Korridors waren in abblätterndem Krankenhausgrün gehalten. Er war nur schwach beleuchtet und die Luft war dicker als in einer Turnhallenumkleide. Ich konnte nicht an Big Piwi vorbeisehen, der sich unter jeder kahlen Glühbirne, die unseren Weg beleuchtete, ducken musste.
Die meisten Türen, die auf den Gang hinausgingen, standen offen. Im Vorbeigehen schaute ich in identisch eingerichtete Räume. Nirgendwo der kleinste Unterschied: ein langer Tisch, ein Holzstuhl und sonst nichts. Es schienen auch keine anderen Leute da zu sein.
Big Piwi blieb stehen, und ich prallte gegen seinen Rücken. Es war, als wäre ich gegen eine Mauer aus Monstrum gelaufen. Er stand vor einer verschlossenen Tür und deutete auf den Griff. All die von Schweigen begleitete Geheimnistuerei machte mir am Ende doch ein bisschen Angst.
»Nach dir«, sagte ich.
Er schüttelte mit dem Kopf.
»Kann ich dich was fragen?«, fragte ich.
Er schüttelte mit dem Kopf.
»Hast du Angst vor Tomás?«
Er schüttelte nicht mit dem Kopf.
Bis zu dem Augenblick hatte ich keine Angst vor Tomás Morales gehabt.
Ich wurde von einem kalten Schauer erfasst. Ich hatte Tomás in Aktion gesehen. Ich war Zeuge seines kalten Pragmatismus geworden. Wir hatten die Ermordung eines Mannes besprochen. Aber irgendwie konnte ich nie ganz den kleinen Jungen mit der Aktentasche vergessen.
In diesem Augenblick wurde mir klar, dass es den kleinen Jungen nicht mehr gab. Der gehörte der Vergangenheit an. Und die Vergangenheit hatte keine Bedeutung mehr.
Als ich so im Korridor dieser mexikanischen Polizeiwache stand, hatte ich das Gefühl, in ein tiefes Loch gefallen zu sein, aus dem ich nicht wieder hinausklettern konnte. Ich war wieder im Wassertank. Ich fühlte Panik aufkommen. Ich war wieder unter Wasser und kämpfte mit Yolandas leblosem Körper, um Luft zu bekommen. Ich konnte die Wasseroberfläche nicht erreichen. Mein einziger Ausweg war, noch tiefer zu tauchen. Tiefer in die Dunkelheit und den schwarzen Schlamm.
Ich öffnete die Tür und betrat einen kleinen Raum.
Ein kräftiger Mexikaner saß auf dem Holzstuhl, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Er war barfuß und seine Haut glänzte vor Schweiß. Blut und Speichel rannen aus seinem Mund und hatten Flecken auf seinem unrasierten Kinn und seinem zerrissenen Hemd hinterlassen. Er flennte und roch nach Pisse.
Auf der anderen Seite des Tischs sprach Tomás mit zwei Uniformierten. Er schaute zu mir rüber, aber gab weiter im Flüsterton Befehle. Die beiden Männer eilten aus dem Raum. Tomás ging in die hinterste Ecke und wartete darauf, dass ich ihm folgte.
»Er spricht unsere Sprache nicht besonders gut, aber ich glaube, du wirst dich mit ihm verständigen können«, sagte Tomás.
»Wer ist er? Einer von Alejandros Männern?«
Tomás nickte.
»Was hast du mit ihm gemacht?«
Tomás ignorierte mich. »Die örtliche Polizei erhielt Informationen über Alejandros mutmaßlichen Aufenthaltsort. Daraufhin haben die mexikanischen Behörden zum Schutz der Allgemeinheit das Gebäude durchsucht, da von Gefahr im Verzug ausgegangen werden konnte. Alejandro haben sie nicht erwischt. Der war schon weg, aber drei seiner Männer waren da. Der hier ist einer von ihnen.«
»Was ist denn mit den beiden anderen passiert?«
»Was glaubst du denn?«
Ich sah den geprügelten Mann auf dem Stuhl an. Ich fragte mich, ob er das Gefühl hatte, »noch mal Glück gehabt zu haben«.
»Warum will er mit mir sprechen?«, fragte ich.
»Dein Name fiel«, sagte Tomás. »Scheinbar hat Alejandro irgendwas geplant, bei dem Yimy eine Rolle spielte. Auch wenn es lächerlich klingt, er glaubt, du könntest ihn retten.«
Wir beide sahen den Mann auf dem Stuhl an. Ich legte eine Hand auf Tomás’ Arm. »Das ist doch wirklich das Allerletzte, Tomás! Folter? Ich bin nicht
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