Taubenjagd: Jimmy Veeders Fiasko
wie ein noch größerer Versager.
Eine Stunde später wachte ich auf. Das Haus war ruhig, das Zimmer noch hell und warm von der Nachmittagssonne.
Neben der Haustür standen die beiden Kisten mit Pops Papieren. Ich setzte mich langsam auf und wartete, dass das Blut in meine Glieder zurückfloss. Ich trug die Kisten zum Sofa und setzte mich wieder hin. In einer übertrieben dramatischen Geste legte ich eine Hand auf den Deckel und lugte hinein. Es sah nach Briefen aus. Braune Umschläge, Weihnachtskarten und alle möglichen handschriftlichen Notizen. Außerdem ein paar Rechnungen. Ich legte den Deckel neben mich aufs Sofa.
Ich nahm mir einen roten Umschlag, der obendrauf lag. Die Absenderadresse war in Portland, Oregon. Den Namen kannte ich nicht: Samuel Eliason. Der Poststempel war von 1972. In dem Umschlag befand sich eine gefaltete Geburtstagskarte mit der Karikatur einer Stripperin auf der Vorderseite. Drin stand ein lahmer Kalauer. Die Karte war in Blockschrift mit Sammo unterschrieben. Keine weitere Nachricht.
Welche Erkenntnisse sollte mir das bringen? Hatte ich soeben den Schleier gelüftet, hinter dem sich Pops wahre Natur verbarg? Sammo konnte ein Freund aus der Armee sein, eine Geschäftsbekanntschaft
oder jemand von der Highschool. Wonach suchte ich eigentlich? Nach Geheimnissen? Nach irgendetwas, wodurch ich ein bisschen mehr über Pop erfahren würde und letztendlich auch über mich selbst?
Ich kam mir vor wie ein richtiges Arschloch.
Ich steckte den Brief zurück in den Umschlag, den ich wieder in die Kiste warf. Ich setzte den Deckel wieder drauf und gab dann der Kiste einen leichten Tritt.
Mein Handy klingelte. Tomás war dran. Als die Sanitäter Mr. Morales auf die Trage gelegt hatten, hatte ich ihm eine Nachricht draufgesprochen. Das war etliche Stunden zuvor gewesen. Ich war erstaunt, dass er sich erst so spät bei mir meldete.
Ich hatte erwartet, dass Tomás wütend wäre oder zumindest irgendeine Regung zeigte, aber entweder hatte er Zeit gehabt, die Ereignisse zu verarbeiten, oder er war jemand, der seine Gefühle nicht zeigte. Für Tomás zählten nur Geschäft, Planung und Taktik. Er empfand Alejandros Angriff auf seinen Großvater als Beleidigung (seine Worte), entschied sich aber, dies nur als Teil von Alejandros Strategie zu betrachten.
» Mi abuelito hat recht. Der pendejo ist verzweifelt. Er klammert sich, wie sagt man noch, an Strohballen.« Ich korrigierte ihn nicht. »Jemanden anzugreifen, der so harmlos ist wie Lito , oder dir hinterherzuhetzen … Er greift jeden an, der ihm in die Quere kommt. Denn er weiß, wenn er’s mit mir zu tun kriegt, dann ist es vorbei. Ein leichtes Ziel ist zumindest ein Ziel. Auf das, was hinter einem ist, kann man nicht schießen. Als Ansatz nicht schlecht. Proaktiv.«
»Ich bin überrascht, dass er Mr. Morales nicht umgebracht hat.«
»Das hätte ihn zu viel gekostet. Es kostet ihn auch so schon einiges. Aber wenn er ihn umgebracht hätte, wer weiß ...«
»Wie viel mehr kann es ihn schon kosten? Du willst ihn doch sowieso umbringen.«
»In Mexiko gibt es vielleicht keine hohe Lebensqualität. Deshalb tut man alles für ein bisschen Sterbequalität. Hätte er mi abuelito umgebracht, dann wäre er einen armseligen Tod gestorben und es hätte sich endlos hingezogen.«
»Mein Gott! Und was machen wir jetzt?«, fragte ich.
»Wir? Wir machen gar nichts. Ich muss mich gerade um diese Lawine von Scheiße kümmern, die du ausgelöst hast. Du tust am besten gar nichts. Halt dich da raus und tue, was du sonst auch tust. Sei vielleicht ein bisschen vorsichtiger, aber tue einfach das, was du vorher getan hast.«
»Ich habe eigentlich gar nichts getan«, sagte ich.
»Dann widme dich wieder deinem Nichts«, sagte Tomás. »Du hast keine Ahnung, was mich das kostet. Meine Aufmerksamkeit so einer Null wie Alejandro widmen zu müssen, bedeutet, dass ich mich nicht mehr auf meine wichtigsten Gewinnzentren konzentrieren kann. Ich habe sowieso schon so viel am Hut, auch ohne dich beschützen zu müssen. Du kannst mir nicht helfen.
Wenn er ein paar zusätzliche Leute für schwerere Arbeiten braucht, dann heuert Alejandro immer dieselben fünf, sechs Männer an. Die zwei, die du mit der Schaufel bearbeitet hast, die wissen nichts. Die waren schon weg vom Fenster, bevor er untergetaucht ist. Ein paar von meinen Freunden haben, wie ich höre, Informationen über einen seiner anderen Männer. Wenn wir den finden, dann bin ich schon ein bisschen näher an
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