Taubenjagd: Jimmy Veeders Fiasko
Algodones-Dünen, in der Nähe der Grenze. Da, wo der All-American-Kanal nach Norden abbiegt. Ein ganz abgelegener illegaler Grenzübergang ohne
die Gefahren und Unannehmlichkeiten, die die Überquerung des Kanals mit sich bringt. Einige Dünen befinden sich in Mexiko. Eine günstige Stelle, um über die Grenze zu kommen. Aber nur, wenn man richtig ausgerüstet ist. Sonst ist es sehr gefährlich.«
»Ich weiß, welche Stelle du meinst. Da gibt’s nichts als Sand. Nirgendwo Schatten, geschweige denn Versteckmöglichkeiten«, sagte ich. »Aber ich nehme an, da es ›Oase‹ genannt wird, wirst du mich gleich aufklären.«
»Früher hat es in Gordons Well vielleicht mal einen Brunnen gegeben. Aber heute steht dort eine Erdwärmeanlage.«
»Stimmt«, sagte ich. »Im vierten Schuljahr haben wir mal einen Ausflug zu so einer Anlage gemacht.«
»Und es ist nicht irgendeine Erdwärmeanlage«, sagte Tomás, »sondern die korrupteste Erdwärmeanlage der Welt.«
Als Big Piwi auf den Parkplatz der Morales Bar fuhr, hatte ich von Tomás alles über das »Gordons Well Geothermal Power Plant Project« (oder kurz GWGPPP, allen Ernstes) erfahren.
Anfang der Siebzigerjahre vom Innenministerium in Auftrag gegeben und vom Staat Kalifornien gemeinsam mit Imperial County betrieben, lief das Kraftwerk in den ersten dreißig Jahren effizient und ohne Probleme. In den letzten zwei Jahren aber nicht mehr. Da das Kraftwerk nahe am All-American-Kanal und der San-Andreas-Verwerfung liegt, kamen anscheinend drei Jahre zuvor Bedenken wegen seiner Auswirkungen auf die Wasserversorgung von Imperial County auf. Die Umweltschutzbehörde schaltete sich ein, leitete mit erstaunlicher Effizienz ihre Untersuchungen ein und veranlasste eine vorläufige Stilllegung des Kraftwerks. Die vorläufige Stilllegung wurde auf unbestimmte Zeit verlängert, als hohe Mineralwerte festgestellt wurden, vor allem Schwefel und Phosphate. Die technischen Mitarbeiter und anderen Beschäftigten des GWGPPP wurden auf verschiedene Kraftwerke in der Region verteilt, und es blieb nur eine kleine Mannschaft von Sicherheitsleuten da.
Die Sicherheitsleute entpuppten sich als findige Unternehmer. Niemand weiß, wie alles angefangen hat, aber die in Gordons
Well verbleibenden Männer machten ihr eigenes Geschäft auf. Ein Limonadenstand war es nicht.
Die Lage macht’s! Die Männer von Gordons Well erkannten, dass die sechzehn Hektar große Anlage ein willkommenes Refugium für eine exklusive Klientel abgeben würde, die die Wüste durchquerte. Die Abgeschiedenheit bedeutete, dass man hier ungestört war. Seit ihrer Wiedergeburt als Oase wurde die Anlage von Drogenhändlern, Schleusern und Schmugglern jeder Art als Zufluchtsort vor Wüste und Behörden genutzt. Gegen Bezahlung natürlich.
Die Regeln waren einfach. Wer bezahlte, war willkommen. Pro Tag oder pro Stunde, die Tarife waren flexibel. Zu Stoßzeiten nutzten vier oder fünf Gruppen gleichzeitig den Service. Obwohl man sich bemühte, rivalisierende Gruppen voneinander fernzuhalten, war es mitunter zu Konflikten gekommen. Gewalt versuchte man zu unterbinden, was aber nicht immer gelang. Ein ungeschriebenes Gesetz besagte, dass Unruhestifter nicht mehr hindurften. Außer denen, die dort irgendwo in den Dünen vergraben wurden.
Die Wachleute der Oase hatten ein Unternehmen ins Leben gerufen, das jedem nur Vorteile brachte. Niemand hatte etwas davon, das Gleichgewicht zu stören. Die Kriminellen sparten Zeit und Geld, und die Wachleute waren sicher, weil die Kriminellen sie nicht einfach austauschen konnten. Die meisten zahlten gern. Solange niemand zu habgierig wurde, profitierten alle davon. Der Service war einfach: Lebensmittel, Wasser und Schutz vor der Sonne. Aber vor allem spielte die Anlage eine ähnliche Rolle wie die Schweiz. Sie war ein von allen anerkanntes, neutrales Land, wo man sein Gold oder sich selbst verstecken konnte. Solange man genügend Geld hatte.
Tomás hatte zugegeben, dass er diesen Service auch in Anspruch nahm. Er sagte nichts Genaues, aber ich hatte den Eindruck, er gehörte zu den Stammkunden. Das war auch der Grund, warum er mir nicht helfen konnte, Juan zu befreien. So gern er Alejandro auch erwischt hätte, er wollte das Vertrauensverhältnis, das er mit den Wachleuten der Oase aufgebaut hatte, nicht aufs Spiel setzen.
Tomás sagte: »Wenn sie weg ist, dann für immer. Die Durchquerung der Wüste wird von Jahr zu Jahr gefährlicher, und die Oase ist dabei unverzichtbar. Nicht nur für
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