Taubenkrieg
eigentlich ist doch er derjenige, der solche Sachen sagt, zu Heide, wenn ihm danach ist und er sein Herz spürt. Ob er das aber jetzt in diesem Augenblick will, kann er nicht sagen.
Wie gut, dass endlich was abgeht am Ufer. Die Polizei scheint eingetroffen zu sein. Das Tor ist erleuchtet, Rufe werden laut, Motoren brummen den Soundtrack.
»Es ist so weit, wir fahren zu dem Bootshaus dahinten. Du musst schauen, ob noch jemand Wache schiebt, okay?«
Leo verausgabt sich. Es fühlt sich genau richtig an. Besser als reden.
Mit einem sanften Stoß legen sie an, hangeln sich am Steg entlang, sodass ihr Boot auf der Seite liegt, die vom Haus aus |294| nicht zu sehen ist. »Ich renne vor und schließe den Schuppen auf«, flüstert Leo. »Wenn ich dir zuwinke, musst du dich beeilen, okay?«
Tim nickt. Ob er Angst hat, ist ihm nicht anzusehen. Vielleicht kennt er überhaupt keine Furcht mehr, die kann man auch verlieren in einem der Erziehungsheime oder Arrestzellen. Leo hat ein schlechtes Gewissen, weil das Leben ihm bessere Karten zugedacht hat als seinem Zwillingsbruder. Bloß weil er bei der Geburt ein paar Gramm mehr auf den Rippen hatte. Gerecht ist das nicht. Aber es ist auch nicht seine Schuld.
Leo steigt aus dem Boot, versucht, das Wasser nicht zu sehr in Wallung zu bringen, dann rennt er über den schmalen Steg und die wenigen Schritte zum Schuppen. Der Schlüssel liegt unter einem Stein, er öffnet die Tür, warum knarrt das Scheißding so, er schiebt sich durch den engen Spalt ins Innere.
Es ist nicht so dunkel, wie Leo erwartet hatte, denn der Mond wirft in dieser Stunde sein käsiges Licht durch die Fensterscheiben. Das ist gut, dann brauchen sie keine Kerzen. Gleich wird er seinem Bruder erklären, was ihn erwartet.
Alles muss zerstört werden, die Boote, die Regale, die Eimer und Werkzeuge, nichts darf so bleiben, wie es jetzt ist. Und danach müssen sie Leo Kellerbach töten, heute Nacht, an diesem Ort. Dann wird Gauly sich sicher fühlen, wird seine Spielchen spielen und in die Falle tappen, aus der er nicht mehr entweichen kann. Es muss aussehen wie eine Sache zwischen Rockern, dann kriegt er Angst, dass seine Rolle im
Hot Lady
auffliegen könnte. Er wird wieder meisterhaft Strippen ziehen und Kontakte spielen lassen, um am Ende als Oberstaatsanwalt mit tadellosem Ruf dazustehen. Und er wird nicht ahnen, dass es die ganze Zeit um etwas ganz anderes geht, dass nun seine Vergangenheit ihn einholt, von der nur der angeblich tote Leo etwas ahnte. Eine bessere Deckung gibt es nicht als die, den eigenen Tod vorzutäuschen.
|295| In seiner Tasche hat Leo ein scharfes Messer, Druckkompressen und Verbandszeug. Es wird Blut fließen, viel Blut, und die DNA wird verraten, dass es von Leo Kellerbach stammt. Doch mit einem wirklichen Bruder an der Seite ist auch das zu schaffen. Beide geben anderthalb Liter, mehr nicht, dann würden sie überleben und doch einen Mord begehen. Er stellt zwei Stühle bereit und zwei Flaschen Wasser, damit sie nicht austrocknen, wenn die Adern geöffnet sind. Ein Wahnsinnsplan.
Er muss gelingen. Heide wird seinen Anweisungen folgen, das weiß er genau. Niemand wird daran zweifeln, dass es einen Anschlag der verfeindeten
G-Point -Gangster
gegeben hat, warum auch, ein solcher Überfall passt ins Bild.
Eine Woche haben sie Zeit, Gauly in die Enge zu treiben. Dann geht ein Flieger nach Las Vegas. Drei Karten hat er bestellt. Für ihn selbst, für seinen Bruder und seine Braut.
Leo geht zur Tür, schiebt sie auf, winkt Tim, der verängstigt im Boot sitzt. »Komm, es kann losgehen«, flüstert er.
Und Tim zögert nicht einen Augenblick.
Als er den Steg entlanggeht, fliegen drei Enten auf. »Schön ist es hier«, sagt Tim.
»… If I would, could you?«
Erst war Heide hin- und hergerissen, was sie von dieser Geschichte halten sollte. Natürlich konnte sie verstehen, dass die beiden Brüder etwas tun mussten. Andererseits hatten sie Heide da mit reingezogen, hatten sie zu ihrer Komplizin gemacht. Sie war eine Brandstifterin, nur damit belastendes Material aus dem Clubbüro vernichtet wurde, bevor Gauly es gegen die Rocker verwenden konnte. Sie war zur Botin schlechter Nachrichten geworden, hatte Nikola Kellerbach Unterlagen überreicht, die diese in Gefahr gebracht hatten. Und jetzt hatte Leo ihr die Sache mit der Brücke vorgeschlagen. Sollte sie ihm diesen letzten Gefallen wirklich tun? Konnte sie das?
|296| Sie hatte zugesagt. Aus Mitleid oder aus dem Gefühl heraus, dass
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