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Taubenkrieg

Taubenkrieg

Titel: Taubenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Lüpkes
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da etwas, was Sie für Leo tun könnten   …«
    Ihre Finger brauchten ewig, bis sie es schafften, diesen verdammten Schlüssel zu drehen. Und dann verwendete sie ihre ganze restliche Kraft, um die Wohnungstür zu öffnen. Die Sicherheitskette ließ sie vorgeschoben. »Leo ist doch tot.«
    »Er hat mir eine Nachricht hinterlassen, die ich Ihnen überbringen soll für den Fall, dass ihm etwas passiert.« Das Flüstern klang angestrengt. Der Mann sah auch in voller Gestalt alles andere als gefährlich aus, nicht im Geringsten. Zwar war er groß, in etwa so wie Leo, aber die Kleidung schlotterte an ihm herum. Trotz des Sommerwetters trug er ein Hemd mit |106| langen Ärmeln, als sei ihm kalt. Und da gab es noch etwas, das nicht zu benennen war, eine Vertrautheit zu diesem Fremden, einfach so, wie aus dem Nichts. Vielleicht, weil er dieselbe Augenfarbe wie Leo hatte, ja, das machte ihn sympathisch. Und jetzt, da er vor ihrer Tür stand und nicht wusste, wohin mit seinen Händen   … er war kein Ungeheuer. Also sei’s drum, sie ließ ihn eintreten. Dass er sich nicht wohl in seiner käsigen Haut fühlte, war nicht zu übersehen. Sie führte ihn in ihre kleine Essküche.
    »Jetzt haben Sie fast den ganzen Tag vor meinem Haus herumgestanden, und ich habe mich deswegen keinen Schritt nach draußen gewagt. Vielleicht sollte ich uns erst mal einen Kaffee kochen?« Tatsächlich schaffte sie ein kurzes Lächeln, das von ihrem seltsamen Gast sogar erwidert wurde.
    »Wenn ich ehrlich sein darf: Kaffee ist das Einzige, was ich heute im Überfluss hatte. Hätten Sie vielleicht auch einen Tee? Pfefferminz vielleicht?«
    Vor Männern, die nach Pfefferminztee verlangten, brauchte man sich nicht zu fürchten, entschied Heide. Und dann, als die restliche Angst sich legte, war da auch Platz für eine warme, wohlige Neugierde. Er hatte eine Nachricht von Leo! Wieder war er ein bisschen lebendig für sie! »Ich mache uns eine Kanne Kräutertee.«
    Der Fremde, der sich Tim Beisse nannte, fragte schüchtern nach der Toilette und setzte sich, nachdem er das Badezimmer aufgesucht hatte, wieder artig an seinen Platz. Heide betrachtete ihn aus dem Augenwinkel. Er knetete mit seinen Händen nervös den Kinnbart. An seinem linken Handgelenk kam unter dem langen Hemdsärmel ein Verband zum Vorschein. Er musste sich verletzt haben. Trug er deswegen kein T-Shirt ? Als er bemerkte, worauf ihr Blick gerichtet war, legte er etwas zu hastig den anderen Arm darüber. Er war das Gegenteil von Leo, so leise und brav und höflich und bieder. Und so verschüchtert. Es |107| gab einfach keine Erklärung, wie dieser Mann an eine Nachricht von ihrem Liebsten gekommen war. Als Tassen und Zucker und ein paar pappige Reispuffer auf dem Tischchen standen, setzte sie sich zu ihm und atmete tief durch.
    »Ich   …«, begannen sie dann beide genau zur selben Zeit und mit genau derselben Zögerlichkeit – ein Grund, erneut kurz aufzulachen. Und danach ging es besser.
    Heide wagte den zweiten Versuch. »Ich habe Sie noch nie gesehen, und Leo hat kein einziges Mal von Ihnen gesprochen. So auf den ersten Blick tippe ich auch nicht darauf, dass Sie ein Bruder aus seinem Motorradclub sind. Wie also   … Ich meine, warum   … Hm   …«
    Er half ihr aus, als klar war, sie kriegte diesen Satz nicht anständig formuliert. »Ich kenne Leo schon seit Ewigkeiten. Aber das weiß so gut wie niemand. Es ist so ähnlich wie bei Ihnen, oder nicht? Seine wahren Freunde hält er geheim.«
    Heide nickte. »Aber ich kenne ihn noch nicht einmal ein Jahr.« Sie stutzte. »Ich meine: kannte. Daran kann ich mich nicht gewöhnen, dass ich von Leo in der Vergangenheitsform reden muss.«
    »Ich auch nicht«, sagte Beisse. Er nippte an seinem Tee und spreizte den kleinen Finger ab. Das wäre für Leo ein echter Lacher gewesen, kaum vorstellbar, dass sie Freunde waren. »Dann lassen wir es einfach bei der Gegenwart, oder nicht?«
    »Woher kennen Sie sich?«
    »Wir kommen aus demselben Ort.«
    »Das ist seltsam. Dann hätte er mir doch von Ihnen erzählt   …«
    »Mir hat er auch nie etwas über Sie erzählt. Erst, als er merkte, dass etwas passieren könnte.«
    Heides Herz machte Alarm, als müsse es noch tausend Schläge nachholen, seit es gestern durch die Todesnachricht schockgefroren worden war. »Was hat er denn gesagt?«
    |108| »Sie seien einer der wenigen Menschen, auf die er sich verlassen könne. Sie machten bei keinem dieser verlogenen Vereine mit   …«
    »Er meinte

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