Taubenkrieg
Geringsten.
Wie sollte es jetzt bloß weitergehen?
Leo hätte es gewusst. Aber der war tot.
Die Isolation machte sie kaputt. Vor ihrem Haus lungerte seit Stunden ein Unbekannter herum. Und sie durfte nicht traurig sein, um sich nicht zu verraten. Das war nicht auszuhalten.
Sie wusste nichts. Weder, ob man inzwischen Leos Leiche gefunden hatte, noch irgendetwas über die Suche nach seinem Mörder. Und es gab auch niemanden, der auf die Idee käme, sie zu informieren. Warum auch? Was hatte die brave Heide Grensemann mit einem Mann wie Leo Kellerbach zu schaffen? Im Radio verloren sie kein Wort mehr über den Rockermord im Bootsschuppen. Immer nur diese Meldung über den verletzten Bullen.
Sie lag hier in ihrer hübschen Zweiraumwohnung und heulte Rotz und Wasser in die Kissen. Und wenn sie nicht bald von innen vertrocknete, würde die Ungewissheit sie fertigmachen. So oder so, alles war scheiße.
Es klingelte. Nicht das Handy, nicht der Festnetzapparat, nein, jemand stand an der Wohnungstür. Die Zeugen Jehovas oder ein Mitarbeiter der Telefongesellschaft, der ihr etwas über billigere und schnellere Internetverbindungen erzählen wollte? Sonst kam doch tagsüber kein Mensch zu ihr. Normalerweise würde sie ja auch jetzt im Büro sitzen. Es klingelte wieder.
Heide stand auf. Sie trug ihren Hausanzug, so ein bequemes Teil vom Kaffeeröstercenter, nicht schön, aber halbwegs |104| öffentlichkeitstauglich. Auf der anderen Seite des Türspions stand der Mann von der Straße. Er machte ein nettes Gesicht und sah aus, als würde er in ihrer Abteilung arbeiten. So ein harmloser, langweiliger Sesselfurzer mit kurz gehaltenem Bart.
»Ja bitte?«, fragte sie durch die geschlossene Tür. Immer war sie so artig. Sie hätte auch genau so gut das Klingeln ignorieren können, dann hätte der Fremde vielleicht gedacht, dass keiner da ist, und seine Belagerung irgendwann aufgegeben. Aber nun war es zu spät. Und – wenn sie ehrlich war – irgendwie war es auch gut, dass wenigstens etwas passierte. Auch wenn es etwas Schreckliches war, man sie verhaften würde oder sonst was. »Was wollen Sie?«
»Mein Name ist Tim Beisse. Ich müsste mal mit Ihnen sprechen.«
Er war sicher Polizist. Was sonst. Bestimmt hatte sie gestern irgendwelche Spuren hinterlassen, oder jemandem war ihr Corsa verdächtig erschienen, und sie hatten ihren Namen über das Kennzeichen herausgefunden. Vielleicht gab es auch ganz andere neue Methoden, wie man Brandstiftern auf die Schliche kam. Stichwort DNA oder so. Heide hatte doch keine Ahnung, wie die bei der Polizei arbeiteten. Im Fernsehen fingen sie den Mörder, bloß weil dieser ein einzelnes Haar am Tatort zurückgelassen hatte …
»Worum geht es denn?«
»Das müssten wir bitte unter vier Augen besprechen.«
Nein, dann also kein Polizist. Die kommen doch immer mindestens zu zweit, oder nicht? Heide nahm allen Mut zusammen: »Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich Sie einfach so in meine Wohnung lasse …«
»Da haben Sie recht, Frau Grensemann.« Durch das Guckloch war erkennbar, wie unsicher dieser Mann dort vor der Tür herumzappelte. »Aber es geht um Leo Kellerbach.«
Heide wurde heiß und kalt. »Kenne ich nicht!«
|105| »Doch, bestimmt. Das ist der Mann, der Ihnen den Teddybär geschenkt hat, der am Kopfende Ihres Bettes sitzt.«
Das wusste kein Mensch. Nur Leo und sie selbst. Heide wurde schlecht. Stand da vielleicht der Mörder vor ihrer Tür? Irgendeine Psychoexpertentruppe aus Hannover hatte ja die Theorie geäußert, dass der Mord an Leo gar nichts mit den Teufelstauben zu tun hatte, sondern einen Beziehungshintergrund hätte. In den Lokalnachrichten hatten sie darüber kurz berichtet, dann war diese These nie wieder erwähnt worden, fast so, als hätte jemand eine solche Meldung verboten. Aber es konnte doch sein, dass da was dran war, und nun wartete der Mörder darauf, das nächste Opfer zu erstechen. Beziehungstat – und sie hatte eine Beziehung zu Leo gehabt. Sollte sie besser die Polizei rufen? Aber dann kannten sie ihren Namen, ihre Rolle, und es wäre nur eine Frage der Zeit, bis sie sie des Brandanschlags überführen könnten. Nein, die Polizei war keine gute Idee. Sie schielte wieder durch den Spion. Der Typ sah harmlos aus, blass und harmlos. Er konnte nicht Leos Mörder sein, das wäre lächerlich gewesen, Leo war ihm himmelweit überlegen. Doch was wollte er dann?
»Lassen Sie mich bitte herein, es ist dringend!«
»Ganz sicher nicht!«
»Aber es gibt
Weitere Kostenlose Bücher