Taubenkrieg
Endes kam es hier ganz auf sie allein an. Die Sache mit der Zigarette und der Biersorte hatten ihr klargemacht, dass es um mehr ging als ein bisschen Laientheater. Wenn sie den richtigen Text vergaß, würde es nicht bei ein paar Buhrufen aus dem Publikum bleiben. Dann ging es ans Eingemachte.
»Sag du mal was,
Patch
!«, forderte der Präsident.
Wencke hielt unwillkürlich die Luft an. Jetzt kam es drauf an.
»Ich denke, wir sollten nicht so kleinlich sein. Die macht uns keinen Ärger«, antwortete der Vize mit einer Stimme, der man die Gewissheit anmerkte, dass dieses Wort das letzte sein würde. »Ich halte Christine Frey für eine verdammt tolle Frau.«
Wencke wurde rot. Das war albern. Aber man konnte sich nicht aussuchen, wann so etwas passierte. Sein Satz freute sie ein bisschen mehr, als angemessen gewesen wäre.
|101| Die Acht
steht als Zahl für Neuanfang und Magie
Da! Unten auf der Straße vor ihrem Haus stand der Kerl wieder und rauchte. Heide war sich ziemlich sicher, dass er sie durch die engmaschigen Stores nicht erkennen konnte, trotzdem schreckte sie zurück, als sein Blick an der Hausfassade nach oben zu ihrem Schlafzimmerfenster kletterte. Was wollte der Typ von ihr? Den hatte sie noch nie im Leben gesehen, ganz sicher. Bis er ihr heute Morgen um sieben Uhr das erste Mal aufgefallen war. Als sie die Gardinen zur Seite gezogen hatte, um nach dem Wetter zu sehen, da hatte er mit einem Coffee-to-go neben ihrem Corsa gestanden, auffälliger ging es eigentlich nicht. Kurzerhand hatte sie sich krankgemeldet, um nicht aus dem Haus gehen zu müssen.
Sie fühlte sich wirklich nicht so besonders. Ihre weichen Knie trugen sie gerade mal vom Bett zum Fenster oder ins Bad. Auch jetzt ließ sie sich wieder müde in die Kissen sinken und stellte das Radio an. Ein belangloser Sommerhit nach dem anderen. Und schließlich:
»NDR 2, Nachrichten, 16 Uhr. Nach dem Brandanschlag auf ein Clubhaus der sogenannten
Devil Doves
in Schwerin gibt es noch immer keine Hinweise auf den oder die Täter. Der zur Tatzeit vor Ort im Einsatz gewesene Polizist liegt mit Schnitt- und Brandverletzungen im Krankenhaus, er ist ein fünfunddreißigjähriger Familienvater aus Schwerin …«
|102| Seit heute Morgen hörte Heide zu jeder vollen und halben Stunde die neuesten Meldungen. …
Polizist liegt im Krankenhaus …
Dieser Satz lähmte Heide. Das hatte sie doch nicht gewollt!
Ob der Typ vor dem Fenster auch ein Polizist war? Aber wie sollten sie so schnell auf ihren Namen, ihre Adresse gekommen sein? Niemand würde einen Zusammenhang vermuten zwischen dem Clubhausbrand gestern und der Tatsache, dass die Verwaltungsfachfrau Heide Grensemann heute nicht zur Arbeit erschienen war. Keiner der Kollegen im Gewerbeamt Schwerin hatte eine Ahnung von ihrem Privatleben. So gut war das Betriebsklima nicht, dass sie denen etwas von Leo erzählt hätte. Alles so schlaksige Spießer mit gestreiften Hemden, die in ihrer Freizeit für Marathonläufe trainierten und das für abenteuerlich hielten. Die hätten ja doch nur blöde Kommentare für ihre Beziehung übrig gehabt.
Wie gut, dachte sie jetzt im Nachhinein, nach dieser Feuernacht, dass keine Menschenseele darauf käme, sie zu verdächtigen. Wie gut, dass Leo ihr immer wieder dazu geraten hatte, ihre Liebe nicht offiziell zu machen. Damals hatte das wehgetan. Auch heute litt sie darunter, nicht wirklich und öffentlich um ihn trauern zu dürfen. Aber sie wusste, es war besser so.
Sie drehte sich mit dem Gesicht zur Wand. Da saß der Plüschbär, groß wie ein Schulkind, mit einem Herzen in der Hand, auf das
Ich hab dich lieb
gestickt worden war. Den hatte Leo ihr vor zwei Wochen zum Halbjährigen geschenkt. Heide musste heulen. Heulen machte müde. Sie nickte ein.
…
Polizist liegt mit Schnitt- und Brandverletzungen im Krankenhaus …
Scheiße, wieder dieser Satz aus dem Radio. Warum konnte sie das nicht verdrängen? Er wird schon wieder gesund, die paar Splitter und Funken. Sie nahm an, es war der Pisser, der gestern Nacht gegen die Wand gemacht hatte, der mit der Weiberstimme. Niemals hatte Heide in ihrem Leben |103| irgendein Ziel getroffen, das lag ihr nicht, und sie hasste jeglichen Sport, bei dem es auf Zielsicherheit ankam. Gestern Abend musste ihr jemand die Hand geführt haben, damit sie mit zwei Würfen so viel anrichten konnte. Klar, es tat ihr leid, sie hatte den Mann nicht verletzen wollen. Warum auch? Sie war nicht gegen Polizisten, nicht im
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