Taubenkrieg
Boris schien zu bemerken, wie skurril sein kleiner Vortrag wirkte, und lächelte verlegen. »Ich erkläre dir das morgen ausführlicher, wenn du magst.«
»Morgen? Morgen um diese Zeit werde ich dabei sein, meine Koffer zu packen, und ab Mittwoch sind wir Richtung Nordsee unterwegs. Es gibt Zeugnisse, und in den ersten zwei Ferienwochen fahre ich mit meinem Sohn Emil zum Zelten |15| nach Ostfriesland. Vierzehn Tage Urlaub in der alten Heimat.« Vierzehn Tage keine scheußlichen Tatorte mehr, keine Wortgefechte mit der Chefin in Hannover, keine nervenaufreibende Organisation des Alltags einer alleinerziehenden Mutter mit Vollzeitjob, fügte Wencke in Gedanken hinzu. »Reg dich nicht auf, Boris, meinen Bericht über diese Schweinerei hier mache ich morgen früh noch fertig und schicke ihn dir per Mail.«
»Ich muss mich dann also die nächsten Tage mit Kollegin Kosian begnügen?«, seufzte Boris.
Plötzlich kam wieder Leben in den Kommissar. »Die nächsten Tage? Ich bitte Sie, so lange wollen Sie an diesem Fall hier herumdoktern?« Er lachte tatsächlich, zumindest drangen rhythmische Geräusche aus seinem Bart. »Die Sache ist doch sonnenklar! Selbst der Leitende Oberstaatsanwalt Gauly hat schon einen Haken hinter den Fall gemacht: Rockerkrieg! Meine Männer und ich haben eigentlich nur darauf gewartet, dass es hier am Pinnower See den ersten Toten gibt.«
»Inwiefern?«
»Die Teufelstauben breiten sich immer weiter aus und haben vor ein paar Wochen das
Hot Lady
in der Nähe von Hagenow übernommen. Einer der größten Puffs* im Umkreis von hundert Kilometern und zuvor in der Hand der
Gangster
.«
»Sie meinen, unsere Sache hier hat mit diesen Revierkämpfen zu tun?«
»Womit sonst? Das hier ist ein Machtduell zwischen zwei Rockerclubs: Dämliche, fette Jungs schlagen sich gegenseitig die Köpfe ein, weil sie ihre Nutten und ihre Drogen* in denselben Straßen an den Mann bringen wollen. Also gibt’s Rambazamba. Da brauchen Sie Ihre wertvolle Zeit wirklich nicht mit irgendwelchem Psychokram zu verschwenden.«
Wencke und Boris schauten ihn beide an. Wahrscheinlich dachten sie dasselbe: Kotzbrocken.
»Sie wissen doch noch nicht einmal, wer das Opfer ist!«
|16| »Es wird wohl einer von den Kuttenträgern sein. Wir gehen von einem Überfall durch die
GPGs
aus, eine Art Denkzettel oder so …«
»Wenn Denkzettel verpasst werden, wird die Leiche nicht aus dem Weg geräumt, das wissen Sie doch sicher auch. Macht- und Gewaltdemonstrationen verlaufen ins Leere, wenn das Opfer nicht mehr da ist. Wir erklären Sie sich das?«
»Ach, Frau … wie war doch gleich Ihr Name?«
Wencke zeigte nur auf das gut lesbare Namensschild an ihrem weißen Overall.
»Frau Tydmers! Sie berufen sich auf die Regelfälle. Aber es gibt doch auch Ausnahmen, oder nicht?« Seine Selbstgefälligkeit ließ sich durch nichts erschüttern. »Es wird sich um ein Mitglied der
Devil Doves
handeln. Gestern Nacht haben sich hier an die fünfzig Rocker rumgetrieben. Hauptsächlich im Clubhaus und am Zaun. Es gab sogar einen Polizeieinsatz so gegen Mitternacht. Eine Streife mit Verstärkung war hier wegen Lärmbelästigung.«
»Wer hat sich denn beschwert? Hier wohnt doch weit und breit kein Mensch …«
»Anonymer Anruf. Das ist aber normal, mit den Teufelstauben will sich zu Recht keiner anlegen. Die haben mit ihren Maschinen wohl eine Art Rennen auf der B 321 veranstaltet, und da gibt es einige Anwohner, die auf diese Weise um ihren Schlaf gebracht werden. Wir vermuten, dass die Meldung aus der Ecke kam.«
»Und? Haben Sie die Raser erwischt?«
Wachtel zuckte mit den Schultern und kramte sein Handy hervor. »Moment, ich hake mal nach.« Er verließ, das Telefon am Ohr, den Schuppen, und Wencke und Boris folgten ihm.
Erst als sie wieder an der frischen Luft war, wurde Wencke bewusst, wie ekelhaft der Gestank im Inneren gewesen war. Diese Mischung aus Kraftstoffen, Terpentin, kaltem Rauch |17| und den unvermeidlichen Tatort-Gerüchen schlug ihr im Nachhinein auf den Magen. Sie atmete tief durch.
»Was war gestern genau los hier beim Einsatz?«, rief Wachtel in den Apparat. »– Wie? – Nein, die Herrschaften aus Hannover fragten danach. – Hm. – Okay. – Bedankt.« Er klappte das Mobiltelefon wieder zu. »Auf der Straße herrschte wieder Ruhe und Frieden, als die Kollegen ankamen. Sie sind dann aber noch mal sicherheitshalber hierher gefahren und haben Einsatzbereitschaft demonstriert.«
»Und dann?«
»Es gab Stress am
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