Taubenkrieg
Heimlichtuerei, das ganze Versteckspiel – und dass er ihr nie wieder zumuten wollte, mit Kerstin in der Küche einen Tee trinken zu müssen. Er wünschte sich nichts mehr als die Gelegenheit, diesen Fehler wiedergutzumachen.
Weit hinten ahnte man bereits das Meer, eine Betonpiste |267| führte in ungefähr einem halben Kilometer auf eine Ansammlung grottiger Gebäude zu. Axel wurde langsamer. Hier war er richtig. Ob Gauly schon nach ihm Ausschau hielt und ihn persönlich willkommen heißen würde? Wahrscheinlich nicht, der Oberstaatsanwalt war großartig darin, Helfershelfer ins Rennen zu schicken, wenn die Situation brenzlig wurde. Und genau deswegen war es schwer, ihn zu fassen zu kriegen. Aalglatt und ebenso beweglich, wenn es darum ging, Schlupflöcher zu nutzen, um sich aus der Affäre zu ziehen. Zudem hatte er Zugriff zu den wichtigsten Hebeln, die man in Bewegung setzen musste, wenn es drauf ankam, die Wahrheit zu manipulieren. Anders konnte man es nicht erklären, warum er damals nach der Wende ungeschoren davongekommen war. Stasimitarbeiter mit wesentlich weniger auf dem Kerbholz waren für ihre Vergehen bestraft worden, degradiert oder inhaftiert. Gauly aber war zum Leitenden Oberstaatsanwalt befördert worden.
Zwei Gorillas standen mit verschränkten Armen auf dem Hof. Sie sahen extrem schlecht gelaunt aus, kein Wunder, bestimmt verdienten sie sonst ihr Geld als Türsteher in diversen Nachtlokalen und fluchten nun über eine unfreiwillige Tagesschicht. Axel kontrollierte mit einem kurzen Blick in den Rückspiegel noch einmal sein Aussehen. Wie gut, dass Bellhorn eine solch fabelhafte Jeanskutte hatte. Warum seine erste große Liebe ihm dieses Souvenir überlassen hatte, diese Erklärung war er ihm letztlich doch schuldig geblieben. Überhaupt neigte Wenckes Kollege dazu, sich zu verschließen, wenn man persönliche Fragen zu seinem umfangreichen Rockerwissen stellte. Bei fachlichen Fragen sprudelte es aus ihm heraus wie aus einem Sachbuch über Motorradclubs. Aber seine private Geschichte war ein wunder Punkt, vermutete Axel.
Egal, es war ein riesiger Vorteil, dass er mit dieser waschechten
Gangster
-Uniform aufwarten konnte. Sogar ein Onepercenter*-Abzeichen prangte auf der Brusttasche. Die Buchstaben |268| ACAB direkt darunter gestickt,
All Cops Are Bastards
– das war an Ironie nicht zu überbieten. Sein Haar steckte unter dem Kopftuch, eine fette Sonnenbrille klemmte auf der Nase, und zum Glück hatte er sich seit vorgestern nicht mehr rasiert. So gab er, wenn alles gut ging, eine Erscheinung ab, die eventuell auch auf den zweiten Blick als ein M C-Member durchgehen könnte.
Zwei Meter vor den Typen blieb er stehen und stellte den Motor ab. »Gauly erwartet mich.«
Der eine spuckte vor ihm aus. Der andere drehte sich um und ging durch die Metalltür, die sich in der Mitte des größten Lagerhauses befand.
»Du bist ein scheiß
Gangster
«, blaffte der Spucker. »Hast du ein scheiß Glück, dass es Anweisung gab, dir nicht deine scheiß Fresse einzuschlagen. Sonst …« Er betrachtete die Knöchel seiner Finger, die weiß unter seiner tätowierten Haut hervorragten.
Axel suchte nach einem harten verbalen Gegenschlag, aber alles, was ihm einfiel, erschien ihm entweder albern oder viel zu gestelzt. Also biss er stattdessen seine Kiefer aufeinander, vielleicht beeindruckte das sein Gegenüber wenigstens ein kleines bisschen.
»Ihr habt unseren Bruder abgestochen, ihr Schweine«, suchte der wiederum Streit. »Ein scheißfeiger Mord war das.«
Axel stiegt von seiner
Harley
ab und steckte den Zündschlüssel in die Hosentasche. Wenigstens schien dem Biker nicht aufzufallen, dass er nur ein verkleideter Provinzpolizist war. Unauffällig schielte er zu den knorrigen Bäumen auf dem hinteren Grundstück, dort müsste Bellhorn hoffentlich bald in Stellung gehen. Eigentlich war es Wahnsinn, zu zweit gegen eine Horde gewalttätiger Verbrecher, deren genaue Anzahl man nur ahnen konnte, in den Kampf zu ziehen.
Gerade als die mies gelaunte Teufelstaube wieder zum Tiefflug |269| ansetzen wollte, öffnete sich die Tür, und Wencke trat in den Hof. War sie das wirklich? Gut, auf die schwarzen, streichholzkurzen Haare war er vorbereitet gewesen, nicht aber auf die bleiche Haut und die blutunterlaufenen Augen, die offen zu halten ihr schrecklich viel abzuverlangen schien. Sie wollte ihre Hände als Sichtschutz gegen das grelle Sonnenlicht halten, was wegen der im Rücken zusammengebundenen Arme jedoch nicht
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