Taubenkrieg
funktionierte. Zu gern hätte er diese kleine, verschmutzte, gebeugte Frau in die Arme genommen. Aber wie hätten die Typen, die nun direkt hinter ihr auftauchten, darauf reagiert? Wohl kaum mit romantischen Geigenklängen.
Gauly gab sich noch erhabener als auf den zahlreichen Fotografien, die im Internet kursierten. Sein heller Sommeranzug hatte an einigen Stellen die Farbe der unwirtlichen Umgebung angenommen, die Hosenbeine zeigten staubgraue Flecken. Ansonsten war er tadellos gekleidet und schien mit der Sommerhitze gut zurechtzukommen, seine Glatze sah aus wie frisch gepudert. Der Kerl daneben mit Muskeln und Lockenhaar musste wohl
Patch
sein. Bellhorn hatte vorhin eine Andeutung gemacht, dass zwischen ihm und Wencke ein paar heiße Funken geflogen waren, bevor die Enttarnung als LK A-Frau die Leidenschaft wieder deutlich abgekühlt hatte. Was fand Wencke an diesem Chippendale für Arme?
Axel hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Er sollte sich jetzt besser konzentrieren, jedes kleine Fehlverhalten konnte alles auffliegen lassen. »Geht es der Geisel gut?«, fragte er. Wencke nickte kurz. »Dann will ich, dass ihr sie laufen lasst.«
Gauly und
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lachten synchron. »Sonst noch was?«
Wie im Westernduell standen sie sich gegenüber. »Dann entfernt ihr wenigstens die Handschellen!«
»Du hast uns Neuigkeiten über Leos Tod versprochen«, forderte Gauly.
|270| »Okay, ich werde dir einen ersten Hinweis geben. Und den Rest liefere ich erst in dem Moment, in dem ihr der Frau die Fesseln löst. Verstanden?«
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steckte sich eine Zigarette an. »Was wollt ihr eigentlich mit einer Spitzelschlampe?«
»Das lass mal meine Sorge sein.«
»Ist doch klar«, beantwortete
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dann seine eigene Frage. »Ihr habt den Mord begangen und seid am Arsch. Und jetzt wollt ihr die LK A-Frau als Pfand sozusagen. Die arme Lady wandert also nur von einem Herrn zum anderen. Aber sie ist widerspenstig, da warne ich dich schon mal vor.«
Das weiß ich selber, du Schwein, dachte Axel.
»Also gut«, entschied Gauly. »Du sagst uns einen Satz, der verrät, dass du keinen Stuss redest. Und wir schließen die Handschellen auf.«
Axel nickte. »Leo Kellerbachs Mörder heißt Tim Beisse, er wurde am 21. Januar 1971 in Ostberlin geboren.«
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schnaubte verächtlich. Er schien mit diesen Informationen nichts anfangen zu können. Gauly jedoch wurde plötzlich still und weiß, er hatte sofort kapiert. »Los, macht ihr die Dinger ab«, befahl er den Gorillas. Die glotzten verwundert und befolgten seine Anweisung eher zögerlich.
»So ein Schwachsinn! Namen ausdenken kann ich mir auch«, protestierte
Patch
.
»Schnauze«, entgegnete Gauly.
Mit einem leisen Klicken öffneten sich die Handschellen. Wencke rieb sich die Haut ihrer Arme und warf Axel einen dankbaren Blick zu. Er bedeutete ihr unauffällig, dass sie stehen bleiben und weiterhin etwas Geduld aufbringen musste. Noch konnte er keinen Bellhorn im Gebüsch entdecken, also war es zu früh für die Flucht.
»Woher weißt du das?«, fragte Gauly.
»Das und noch einiges mehr. Zum Beispiel, dass eine gewisse |271| Elka Beisse am 21. Januar 1971 in der Charité Zwillinge zur Welt gebracht hat. Leider sind beide Jungen kurz nach der Geburt gestorben, die Mutter durfte ihre Babys nur ein einziges Mal in den Armen halten, danach hat sie sie nie wieder gesehen.«
»Hör mit deinen scheiß Geschichten auf«, bellte
Patch
. »Wir wollen dieses rührselige Zeug nicht hören. Hier geht’s darum, wer meinen Bruder erstochen hat.«
»Ist gut,
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, mahnte Gauly.
»In Wahrheit wurden die beiden Brüder noch an ihrem ersten Lebenstag getrennt. Der eine – Tim Beisse – war der kleinere von beiden, ein kränkliches, dünnes Kind. Er kam in ein Berliner Säuglingsheim. Dass seine Mutter wegen eines missglückten Fluchtversuchs im Frauengefängnis Hoheneck einsaß, hat er nicht erfahren. In seiner Akte wurde er als bedauerliche Vollwaise geführt.«
»Und warum hat dieses Arschloch dann ausgerechnet Leo ermordet? Das macht doch keinen Sinn!«
»Der zweite Bruder war ein properes Kerlchen. Es war kein Problem, für ihn eine gut situierte, linientreue Adoptivfamilie zu finden …« Mehr wollte Axel nicht sagen. Das reichte. Gauly waren längst die Gesichtszüge entglitten.
Wencke musste sich wahrscheinlich beherrschen, um ihr Erstaunen über das Gehörte nicht offensichtlich werden zu lassen. »Darf ich jetzt gehen?«, fragte sie wunderbar
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