Tauchstation
regelrecht erregend. Der einzige Teil seines Körpers, der die Eiseskälte des Wassers spürte, waren seine in Handschuhen steckenden Hände. Während er sich austarierte, sah er sich nach allen Seiten um. Im selben Mo ment sah er am Rande des Lichtkegels einen riesigen Schat ten durchs Wasser treiben. Doch es war nicht das U-Boot. Es war ein großer Hai mit leuchtenden Augen. Der Fisch war mehr als doppelt so lang wie der Durchmesser der Tauchglocke.
»Wie es aussieht, haben wir Gesellschaft«, meldete Richard ruhig an Louis. »Lass mir mal meine Abwehrstange runter. Nur für den Fall der Fälle. Und sag Michael, er soll seine auch mitbringen.« Von all den ausgeklügelten und aufwändigen Anti-Hai-Waffen, die auf dem Markt waren, bevorzugte Richard eine einfache, einen Meter lange Me tallstange. Wie er bereits etliche Male erlebt hatte, schreck ten Haie vor der Stange zurück, wenn sie ihnen entgegen gehalten wurde, und ließen sich auf Distanz halten. Darauf, dass sie auch funktionierte, wenn ein angreifender Hai vor Hunger außer sich war, wollte er zwar lieber nicht wetten, aber in so einer Situation konnte man sich auf keine Abwehrwaffe mit hundertprozentiger Sicherheit verlassen.
Sekunden später wurde die Stange aus der Luke gelassen und schlug lautlos gegen einen Felsen. Kurz darauf erschienen Michaels Beine unter der Glocke, der sich nun ebenfalls durch die Ausstiegsluke zwängte. Als er es geschafft hatte, nahmen die beiden Taucher Blickkontakt miteinander auf. Richard zeigte in Richtung Hai, der genau in dieser Minute in die von den Halogenscheinwerfern erleuchtete Zone hineintrieb.
»Es ist nur ein Grönlandhai«, meldete Richard erleichtert an Louis, nachdem er sich vergewissert hatte, dass Michael ebenfalls mithörte. Da Richard den Hai als Grönlandhai identifiziert hatte, war er nun noch gelassener. Es war zwar ein monsterhafter Riesenfisch, aber er war völlig ungefähr lich. Soweit Richard wusste, wurde er wegen seiner Schwer fälligkeit und Zahmheit auch Schlafhai genannt.
Richard wartete, bis auch Michael sich austariert hatte, und deutete in Richtung der Felsformation. Auf Michaels Nicken hin setzten sie sich in Bewegung. Sie hielten beide ihre Lampen in der linken und die Abwehrstange in der rechten Hand. Da sie durchtrainierte Schwimmer waren, kamen sie schnell und ohne große Anstrengung ans Ziel. Bei dem herrschenden Druck von dreißig Atmosphären for derte allein das Einatmen des zähen komprimierten Gas gemischs ihre gesamte Energie.
Im Inneren der Tauchglocke hantierte Louis hektisch mit den Versorgungsschläuchen der beiden Taucher. Er musste zum einen darauf achten, ihre Bewegungsfreiheit nicht ein zuschränken, durfte ihnen andererseits aber auch nicht zu viel Schlauch geben, da sie sich sonst zu verheddern drohten. Solange die Taucher draußen waren, hatte der Mann in der Glocke alle Hände voll zu tun. Der Job erforderte äu ßerste Konzentration und Reaktionsschnelligkeit. Während er mit den beiden Versorgungsschläuchen jonglierte, muss te er gleichzeitig permanent die Messanzeigen für den Wasserdruck und den Sauerstoffanteil des Atemgasgemischs im Auge behalten. Darüber hinaus war er schließlich in ständi gem Kontakt mit den beiden Tauchern sowie mit den zu ständigen Leitern der Operation in der Tauchstation der Benthic Explorer. Um die Hände frei zu haben, trug er ein Headset mit einem kleinen Ohrstöpsel und einem direkt über seinem Mund befindlichen Mikrofon.
Draußen erreichten die beiden Taucher den Felskamm und machten eine kurze Pause. Auf diese Entfernung spen deten die Außenscheinwerfer der Tauchglocke so gut wie kein Licht mehr. Richard deutete auf seine Taschenlampe und knipste sie an. Michael tat es ihm gleich.
Die hinter ihnen leuchtende Tauchglocke wirkte un heimlich; sie sah aus wie eine glühende, in einer fremdartigen Felslandschaft abgesetzte Raumsonde. Aus der Glocke blubberten unaufhörlich Luftbläschen und stiegen zur fer nen Wasseroberfläche empor. Vor sich blickten die Taucher ins Dunkle, das nach ein paar Metern in tiefes Schwarz überging. Nur wenn sie nach oben sahen, konnten sie den Hauch eines Lichtschimmers erahnen, der von der knapp dreihundert Meter entfernten Wasseroberfläche hinunterdrang. Im Hinterkopf war ihnen bewusst, dass der riesige Hai außerhalb ihres Sichtfelds irgendwo umherschwamm. Das Licht ihrer Taschenlampen durchdrang die eisige Dun kelheit nur schwach; der Lichtkegel reichte gerade zwölf bis fünfzehn Meter
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