Tauchstation
das heiße Wasser zu schaffen, das sie durch ihre Tro ckenanzüge zu spüren begannen.
Sie hatten den oberen Rand des Canyons fast erreicht, als aus der Tiefe unter ihnen plötzlich eine Vibration hochge donnert kam, die sich mit rasender Geschwindigkeit aus breitete. Es war wie eine Schockwelle. Für einen kurzen Au genblick verloren sie beide die Orientierung, und es kostete sie noch mehr Mühe, gleichzeitig zu schwimmen und zu at men. Die Vibration war derjenigen ähnlich, die sie bereits beim Runtergehen in der Tauchglocke gespürt hatten, doch diese neuerliche Erschütterung war um ein Vielfaches stär ker. Im selben Moment wurde ihnen bewusst, dass die Vibration von einem Unterwasserbeben herrührte, und intui tiv wussten sie, dass sie sich genau im Epizentrum des Bebens befanden, oder zumindest ganz nahe dran waren.
Louis spürte das Beben noch heftiger. Als die Glocke von der Schockwelle erfasst wurde, war er gerade verzweifelt da bei, die Versorgungsschläuche einzuholen, die nur noch lasch in seinen Händen hingen. Vor dem Beben waren sie ihm auf einmal mit einer solchen Geschwindigkeit durch die Hände geglitten, dass er sie loslassen musste, um nicht mit gerissen und an einem der zahlreichen Haken und Vor sprünge aufgespießt zu werden.
Richard hatte sich wieder so weit berappelt, dass er ein mal tief einatmen konnte. Das Atmen tat ihm weh. Offen bar hatte die Schockwelle ihm den Brustkorb einge quetscht. Als erfahrener Taucher hielt er als Erstes nach seinem Partner Ausschau. Er wirbelte herum, und für eine Schrecksekunde blieb ihm fast das Herz stehen. Michael war nirgends zu sehen. Dann sah er nach unten und entdeckte ihn. Michael versuchte verzweifelt, nach oben zu kraulen. Richard langte nach unten, um ihm zu helfen. In derselben Sekunde registrierte er, dass sie beide in die Tiefe sanken – und zwar mit rasanter Geschwindigkeit.
Wohl wissend, dass er sein Gewicht nicht weiter vermin dern konnte, tat Richard es seinem Partner gleich und ver suchte nach oben zu schwimmen. In ihrer Verzweiflung und um die Hände frei zu haben, ließen sie sogar ihre Lam pen fallen. Doch es nützte nichts – wenn sie sich überhaupt vom Fleck bewegten, dann nur in eine Richtung: abwärts. Plötzlich sackten sie erneut rasant ab, und während sie un erbittlich in die Tiefe gesogen wurden, schlugen sie immer wieder mit voller Wucht gegen die Felswand.
In der Tauchglocke hatte Louis sein Gleichgewicht so weit zurückgewonnen, dass er sich um die immer noch schlaff in seinen Händen hängenden Schläuche kümmern konnte. Er rollte sie hastig zu zwei Schlaufen zusammen, doch bevor er sie aufhängen konnte, wurden sie auf einmal ruckartig in die entgegengesetzte Richtung gerissen. Zuerst versuchte er, sie festzuhalten, doch das war völlig unmöglich. Er musste sie erneut loslassen, um nicht selber aus der Glocke gezogen zu werden.
Wie ein Berserker vor sich hin fluchend, sprang er zur Seite. Die Schläuche wurden immer schneller aus der Tauchglocke gerissen. Es war, als ob Richard und Michael als Köder dienten und von einem gigantischen Fisch erbeu tet worden wären.
»Tauchglocke, hier Kommandozentrale«, meldete sich Larrys Stimme. »Alles in Ordnung?«
»Ja!«, schrie Louis. »Ich bin okay! Aber hier passiert ir gendetwas völlig Verrücktes! Die Versorgungsschläuche wer den mit hundert Meilen pro Stunde aus der Tauchglocke gezerrt!«
»Das sehen wir auf unserem Monitor«, entgegnete Larry. »Kannst du sie nicht festhalten?«
»Wie denn?«, keuchte Louis unter Tränen zurück und warf einen Blick auf die letzten verbleibenden Meter Schlauch. Was wohl als Nächstes passierte? Ihm lief ein kalter Schauer über den Rücken. In diesem Augenblick wurden die letzten Schlaufen aus der Glocke gerissen. Für den Bruchteil einer Se kunde strafften sich die Versorgungsleitungen; dann wurden sie zu Louis’ Entsetzen aus ihren Aufhängungen gerissen und verschwanden zunächst im Rumpf und dann in der erbar mungslosen offenen See.
»O mein Gott!«, schluchzte Louis, während er sich abmühte, die Gaszufuhr abzustellen.
»Was ist da unten los?«, brüllte Larry.
»Ich weiß es nicht!«, schrie Louis hysterisch zurück. Als ob er nicht schon genug in Panik wäre, begann es zu allem Übel auch noch erneut zu vibrieren und zu rumpeln. Ver zweifelt griff er nach der erstbesten Möglichkeit, sich fest zuhalten. Die Tauchglocke wurde durchgerüttelt und -ge schüttelt, als wäre sie ein Salzstreuer in der Hand eines
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