Taumel der Gefuehle - Roman
»Aber Ihr seid mir aus dem Weg gegangen«, entgegnete er forschend.
»Ja.«
Erleichtert nahm er ihre Ehrlichkeit zur Kenntnis. »Warum?«
»Weil nichts daraus werden kann.« Vehement schüttelte sie den Kopf und strich die Haarsträhnen zurück, die ihr ins Gesicht gefallen waren. »Nein, das ist nicht die Wahrheit. Besser gesagt darf daraus nichts werden. Ihr solltet mich in Ruhe lassen, Mylord. Euer Leben ist nicht mehr das Eure, sobald ich darin eine Rolle spiele.«
Verständnislos zog Northam die Brauen zusammen. Elizabeth Antwort war offen, gleichzeitig jedoch geheimnisvoll. Er glaubte nicht, dass sie es darauf abgesehen hatte, sich interessant und mysteriös zu geben. Ihre Absichten schienen genau auf das Gegenteil abzuzielen, aber Northam fühlte sich nur noch stärker in ihren Bann gezogen. »Ihr seid ein Rätsel, Lady Elizabeth.«
»Nein«, erwiderte sie ernst. »Das bin ich nicht. Ich bin genau das, wofür Ihr mich haltet: eine Hure.«
Es war nicht das Wort, das ihn schockierte, sondern die glühende Leidenschaft, mit der Elizabeth Penrose es aussprach. Northam wich einen Schritt zurück. Seine Haltung verspannte sich, und für einen Moment war er sein Großvater, steif und konservativ, während dieser am
Kopfende des Esstisches saß und eine Lehrstunde über gutes Benehmen hielt.
»Elizabeth!«
Er sprach ihren Namen in eben dem Tonfall aus, den man gewöhnlich benutzt, um ein unvernünftiges Kind zu bändigen. Elizabeth wollte sich dies nicht gefallen lassen, und hätte ihn wahrscheinlich geohrfeigt, hätte er sie weiter provoziert. Stolz reckte sie das Kinn. »Ihr wisst gar nichts von mir außer den Bruchstücken, die Ihr vom Oberst erfahren habt, und unserer kurzen Bekanntschaft. Das reicht nicht aus, um sich ein klares Bild von jemandem zu machen. Was auch immer Ihr Positives in mir zu sehen glaubt, so liegt Ihr völlig falsch. Ich kann es nicht noch deutlicher formulieren. Ich bin kein guter Mensch.«
Northams Stirn war in tiefe Falten gelegt, während er versuchte, den Sinn ihrer Worte zu erfassen. »Warum seid Ihr darauf bedacht, Euch in einem derart schlechten Licht darzustellen?«
»Versteht meine Aufrichtigkeit bitte nicht falsch. Ich möchte Euch mit diesem Geständnis nicht betören. Es ist grauenvoll, dies überhaupt sagen zu müssen. Natürlich müsst Ihr mich nun verabscheuen, das ist mir bewusst.«
»Ja«, meinte er trocken. »Das scheint Eure Absicht zu sein.«
Elizabeth schüttelte den Kopf. »Nein, Ihr habt Unrecht. Es ist besser, Ihr erfahrt die Wahrheit von mir jetzt, als später zu glauben, ich hätte Euch getäuscht.«
»Und welche Wahrheit ist das? Wollt Ihr Euch etwa wieder eine Hure nennen?«
»Das habt Ihr Euch doch bereits selbst gedacht.«
Trotzig blickte sie ihm in die Augen. »Gebt es zu, Mylord, meine Reaktion auf Euren Kuss hat Euch überrascht.«
»Sie hat mich tatsächlich etwas verwirrt«, entgegnete er trocken. Er bemerkte, dass sie leicht erblasste. Sie verlangte nach Antworten, war allerdings nicht darauf vorbereitet, diese zu erhalten. »Das bedeutet jedoch nicht, dass ich Euch als eine Hure bezeichnen würde.«
Elizabeth fing sich wieder. »Aber ihr wundertet Euch über meine Erfahrung.«
»Ihr seid sechsundzwanzig. War es falsch von mir anzunehmen, dass Ihr bereits geküsst worden seid?«
»Warum sprecht Ihr nicht aus, was Ihr eigentlich meint?«, wollte sie nachdrücklich wissen. »Eure Anwesenheit in meinem Schlafgemach spricht Bände. Ihr sitzt weder in Miss Caruthers oder Miss Stevens Zimmer und gebt vor, nach dem Dieb zu suchen...«
Abwehrend hielt Northam eine Hand empor, um ihren Redefluss zu unterbrechen. »Ich verstehe, was Ihr damit sagen wollt.«
»Dann sprecht es aus. Sagt, warum Ihr wirklich hier seid!«
Northam mochte es nicht, in die Ecke gedrängt zu werden, und hatte nicht die Absicht, etwas in Worte zu fassen, das er selbst nicht völlig begriff. Sie hatte Recht mit der Annahme, dass er ohne Einladung niemals die Türschwelle von Miss Caruthers oder Miss Stevens Räumlichkeiten überschritten hätte. Da er sich allerdings sicher gewesen war, es handle sich um Elizabeths Schlafzimmer, hatte er sich nicht zurückhalten können und war unerlaubterweise eingetreten. Dann hatte er sich über ihre schlafende Gestalt gebeugt und sie genau
betrachtet. Ein Teil von ihm hatte sogar gehofft, sie würde aufwachen...
»Feigling«, flüsterte sie.
Ungläubig schoss Northams Kopf hoch. »Wenn Ihr mich provozieren wolltet, Mylady, dann seid
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