Taumel der Gefuehle - Roman
Unterarmen schimmerten im frühen Morgenlicht golden.
Als seine dunklen Augen wieder auf Elizabeths Gesicht ruhten, bemerkte er, dass es zu spät war, um sich zurückzuziehen.
Erschrocken fuhr Elizabeth hoch. Da ihr Mund noch weiter geöffnet war als ihre Augen, musste Northam handeln. Für den Fall, dass sie das Schreien ebenso vortrefflich beherrschte wie Lady Battenburn, hielt es North für das Beste, sie unverzüglich zum Schweigen zu bringen. Da er bezweifelte, dass sie empfänglich für einen Kuss war, legte er ihr die Hand fest auf den Mund, woraufhin sie derart fest zubiss, dass er die Lippen aufeinander pressen musste und ein kurzes Knurren von sich gab. Elizabeth schien dies fürs Erste zufrieden zu stellen und sie ließ von ihm ab.
Ihre Augen spiegelten nun nicht länger Überraschung oder Angst wider, sondern hatten sich zu anklagenden Schlitzen verengt.
»Kann ich darauf vertrauen, dass Ihr nicht schreit?«, fragte er.
Sie nickte. Das Letzte, was Elizabeth wollte, war, dass seine Anwesenheit in ihrem Zimmer entdeckt würde. Ihre erste Reaktion hatte allein dem nackten Überleben
gegolten. Nachdem sie erkannt hatte, dass Northam der Eindringling war, wurde die Angst vor dem Mann von der Sorge um die verfängliche Situation verdrängt. »Was macht Ihr hier?«, zischte sie eisig. »Habt Ihr überhaupt keinen Anstand? Großer Gott, was passiert, wenn man Euch entdeckt...«
»Ich werde mich hinter der Wahrheit verstecken«, entgegnete er ruhig, »und das Beste hoffen.«
Elizabeths Tonfall war nun nicht mehr vorwurfsvoll, sondern argwöhnisch. »Und was ist die Wahrheit?«
»Oh, ich verstehe«, sagte Northam, der so tat, als hätte er erst jetzt den Grund für ihre Besorgnis erkannt. »Ihr glaubt, ich könnte Euch nicht widerstehen, nicht wahr? Dass das Vorspiel in dem Wäldchen, so kurz es auch gewesen sein mag, meinen Appetit auf ein größeres Festmahl geweckt hat?« Er schüttelte den Kopf und ließ sich auf der Bettkante nieder. »Die Wahrheit ist, Lady Elizabeth, dass die Baronin beraubt wurde, wahrscheinlich vom Gentleman-Dieb. Die werte Dame hat den Großteil der Gäste mit einem Gekreische aufgeweckt, das einem Schauerroman zur Ehre gereicht hätte.«
Elizabeth blinzelte.
»East und ich haben uns auf die Suche nach dem Täter begeben. Andere werden unseren Bemühungen folgen, aber wir sind die Ersten.«
»Wie... heldenhaft !«
Er überhörte ihren Sarkasmus. »Tja, nun, so ist es. Als ich die Tür zu diesem Zimmer öffnete, wusste ich nicht, dass es sich um Euer Schlafgemach handelt.«
»Ja, aber nachdem Ihr es wusstet, seid Ihr nicht sofort wieder gegangen.«
Northam sah sich in dem Raum um. Neben dem Kamin
stand eine Chaiselongue, am Fenster war ein Sekretär aus Mahagoniholz. Ein Frisiertisch und ein mit Damast bezogener Stuhl befanden sich an der gegenüberliegenden Wand. Eine Tür, die wahrscheinlich zum Ankleidezimmer führte, stand einen Spalt offen. »Ich musste schließlich meine Suche beginnen«, erklärte er, wobei er ihr wieder tief in die Augen blickte.
»Und habt Ihr es getan?«, wollte sie mit leicht stockender Stimme wissen. »Seid Ihr damit fertig, sie zu beginnen, meine ich?«
Er senkte den Kopf und betrachtete ihren Mund. »Ja.«
Elizabeth spürte, wie sie mit unaufhaltsamer, beinahe übernatürlicher Kraft zu ihm gelockt wurde, als sei Northams Blick ein Magnet, dem sie nicht entrinnen konnte. Das wunderschöne Kobalt seiner Iris war so dunkel, dass es sich kaum von den schwarzen Pupillen absetzte. Seine Nase war klassisch schön, und trotz der Unebenheit seines Nasenrückens war sie wahrlich perfekt, ebenso vollkommen wie sein Mund, und die herrliche Farbe seiner |...
»Lady Elizabeth?«
Sie musste erneut blinzeln.
»Woran denkt Ihr gerade?«, fragte er.
Dieser vollkommene Mund, der sich zu einem leicht amüsierten Lächeln verzogen hatte, war eine Huldigung an die großartigen Bildhauer der Renaissance. Elizabeth musste die Fingernägel in ihre Handflächen pressen, um an etwas anderes zu denken als das Gefühl seiner Lippen auf den ihren. »Ich möchte, dass Ihr geht«, bat sie ruhig.
Er nickte. »Nur noch einen Moment. Wärt Ihr in den vergangenen Tagen nicht versessen darauf gewesen,
mich zu meiden, wäre ich nicht zu diesem tollkühnen Stelldichein gezwungen.«
»Das ist kein Stelldichein.«
»Dann eben ein geheimes Treffen.«
»Auch das nicht.«
Die aufsteigende Panik in ihrer Stimme ließ Northam für einen Augenblick mit der Neckerei innehalten.
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