Taumel der Gefuehle - Roman
jemand zur Anzeige brachte.
Nachdem Northam ein zweites Mal die Brüstung entlanggeschritten war, lehnte er sich an einen der Mauervorsprünge. Daraufhin holte er ein Teleskop aus der Innentasche seines Jacketts und begann aufmerksam den Sternenhimmel zu beobachten.
Stunden später, als sich der südlichste Stern hinter einer weit entfernten Baumgruppe zu verstecken schien, musste Northam zugeben, dass er eine weitere Nacht schlaflos vergeudet hatte. Er schob das Fernrohr zusammen und steckte es wieder in seine Jacke, bevor er sich mit dem Rücken am kühlen Stein hinabgleiten ließ und sich auf den Boden setzte.
Eigentlich hätte er müder sein müssen, denn immerhin
hatte er sich seit seiner Ankunft auf Battenburn jede Nacht aus seinem gemütlichen Bett gezwungen. Viel Arbeit und Recherche hatten ergeben, dass diese zweiwöchigen Feierlichkeiten genau die Art von Herausforderung für den Gentleman-Dieb darstellen würden, der er nicht widerstehen konnte. Southertons gestohlene Schnupftabakdose deutete darauf hin, dass Northam und der Oberst sich nicht getäuscht hatten. Das hieß jedoch nicht zwangsläufig, dass sich der Gentleman unter den Gästen der Battenburns befand. Ein nächtlicher Abstecher zu einem anderen Landsitz war nicht völlig auszuschließen, weshalb Marchman nach Rhylstone geschickt worden war. Eastlyn und Southerton mochten über seine überstürzte Abreise ihre eigenen Vermutungen anstellen, aber die Vergangenheit hatte gezeigt, dass es am besten war, wenn die anderen Mitglieder des Kompass Klubs so wenig wie möglich über die Aufträge der anderen wussten. Ihre Zusammenarbeit mit dem Oberst hatte sie alle von Zeit zu Zeit in Gefahr gebracht, es war jedoch weitaus riskanter, wenn sie sich bei einer Mission in die Quere kamen, deshalb setzte der Oberst sie so weit wie möglich auf unterschiedliche Aufgaben an.
Unvermittelt kam ihm Lady Elizabeth Anne Penrose in den Sinn. Sie war ihm in den letzten Tagen aus dem Weg gegangen. East und South hatten ihn beide darauf hingewiesen, und Norths unmissverständliche Antwort hatte sie nicht davon abgehalten, diese Beobachtung am folgenden Tag zu wiederholen.
Sogar Menschen, die Northam weniger scharfsinnig schienen als seine Freunde, fühlten sich dazu berufen, ihn darauf aufmerksam zu machen. Während einer Whistrunde wollte Lord Battenburn wissen, ob Northam
Lady Elizabeth gekränkt habe. Lady Powell, die immer noch Jagd auf South machte, fragte sich laut, ob sie Elizabeths Strategie der Unnahbarkeit selbst ausprobieren sollte. Seltsamerweise war es gerade die Baronin, die sich nicht zu dieser Angelegenheit äußerte, was Northam neugierig machte. Hieß sie Elizabeths Rückzug gut oder war sie raffiniert genug, ihre Meinung absichtlich nicht kundzutun?
Northam seufzte laut. Elizabeth Penrose hatte eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf ihn, der er sich nicht entziehen konnte. Southerton und Eastlyn empfanden Elizabeths Gesellschaft als äußerst angenehm und beschrieben die junge Frau mit den Worten hübsch, schlagfertig und unterhaltsam, doch keiner von ihnen spürte den genauen Moment, in dem sie den Raum betrat, oder hatten die Fähigkeit, ihre Stimme unter all den anderen herauszuhören.
Nur teilweise ließ sich sein Interesse an Elizabeth auf ihre Verbindung mit dem Oberst zurückführen. Natürlich lag darin der Grund für ihre Bekanntschaft, aber nicht seine anhaltende Faszination. Der Kuss hatte sicherlich eine gewisse Rolle gespielt. Wenn Northam auch nur ein Fünkchen Menschenkenntnis besaß – eine Eigenschaft, die er sich gerne zusprach -, war Lady Elizabeth keine unerfahrene Frau. War er in hartherziger Laune, fragte er sich, welch lockere Moralvorstellungen ihr erlaubten, ein derartiges Vergnügen an einem Kuss zu verspüren. Wenn er in romantischerer Stimmung war, freute er sich über das Glück, eine Frau gefunden zu haben, deren Begierde sich mit seiner eigenen messen konnte.
Northam hatte sehr häufig an den leidenschaftlichen
Kuss denken müssen, ihre kitzelnde Zunge, die langsam an seiner weichen empfindsamen Unterlippe entlangglitt. Noch immer konnte er ihre kleinen weißen Zähne an seiner Haut spüren, die feuchte Wärme ihres Mundes auf dem seinen. Als sie nach Luft gerungen hatte, hatte sie leicht an seiner Oberlippe gesogen, um dann zärtlich an ihr zu knabbern. Ihr Mund war leicht geöffnet, und seine Zunge war tief mit ihrer verschmolzen.
Ein Schrei ließ ihn aus seinen Erinnerungen hochfahren. Blitzschnell sprang
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