Taumel der Gefuehle - Roman
dass auch wir unsere Titel erben könnten und dann anfing, uns mit diesen Namen anzusprechen. Heimlich nannten wir uns tatsächlich so.«
»Wie makaber.«
»Jetzt ist es das wirklich. Aber damals waren wir albern. Keiner von uns wollte einen Titel, wir alle hatten es uns in den Kopf gesetzt, Soldaten zu werden. South wollte zur Königlichen Navy, East sah sich als Diplomat.«
»Und Mr Marchman?«
Northam schwieg einen Augenblick, bevor er vorsichtig antwortete: »Bei West lässt sich die Frage nicht so einfach beantworten.«
Obwohl Elizabeth kurz überlegte, ob sie ihn weiter drängen sollte, entschied sie sich dagegen. »Es ist jedoch bei jedem von euch so gekommen, nicht wahr?«
»Unsere Titel? Ja. Und bei Marchman wird es auch noch passieren.« Bedächtig wählte er seine nächsten Worte. »Ich war mit dem Oberst in Indien, als ich davon erfuhr, dass mein Bruder an einer Lungenentzündung gestorben war. Ich wurde Viscount Richmond. Einen Monat später erreichte mich ein Brief in Delhi. Mein Vater war derselben Krankheit erlegen.«
»Und so wurdest du der Earl.«
Er nickte. »Die Verantwortung meiner Familie gegenüber ließ mich meinen Dienst quittieren und nach England zurückkehren.«
»Vermisst du es, Soldat zu sein?«
»Manchmal. Doch ich vermisse meinen Vater und Bruder weit mehr.«
»Es tut mir Leid«, erwiderte sie schnell. »Ich wollte damit nicht sagen...«
Verständnisvoll streichelte er ihre Hand. »Ich weiß, was du meintest. In Wahrheit hatte ich bereits seit Jahren in der Angst gelebt, sie könnten sterben. Als es schließlich eintrat, befielen mich unerträgliche Schuldgefühle. Ich glaubte, ich hätte etwas dagegen tun können.«
Elizabeth war über sein Geständnis nicht überrascht.
»Am Anfang war ich meiner Mutter und meinen Schwestern keine große Hilfe«, fuhr er fort. »Erst nach und nach wuchs ich in meine Aufgaben hinein. Die Vorhaltungen meines Großvaters waren fesselnd, wenn auch unwillkommen. Meine Mutter verstand mich, obwohl sie von ihrem eigenen Schmerz überwältigt war. Leticia heiratete, Pamela wurde in die Gesellschaft eingeführt, und Regina verließ die Schule.« Er hielt kurz inne, überlegte einen Augenblick und fügte eine weitere Station seines Lebens hinzu. »Dann sandte der Oberst nach mir.«
»Um zu sehen, wie du zurechtkommst?«
»So ähnlich.«
»Oh«, meinte sie. »Er hat dich sicherlich für eine seiner Intrigen eingespannt. Blackwood ist dafür bekannt, das jedenfalls behauptet mein Vater.« Sie wechselte schnell das Thema, da sie wusste, dass Northam große Achtung
vor dem Cousin ihrer verstorbenen Mutter hatte. »Es ist schon spät.«
»Ja. Sollte das eine beiläufige Bemerkung sein, oder willst du mir ans Herz legen zu gehen?«
»Du solltest wirklich gehen.«
Er war beinahe versucht zu fragen, ob sie nach ihm noch einen weiteren Liebhaber erwartete. Aber er hielt sich zurück, da eine solche Bemerkung ungerecht und unklug gewesen wäre. »Wie kommt es, dass du bisher in keinen Skandal verwickelt wurdest?«
Sie antwortete nicht, sondern starrte stattdessen auf ihre Hände, die in ihrem Schoß lagen.
»Es ist sonderbar, dass ich noch nie Gerüchte über...«
»Dass du noch nie Gerüchte über meine Vorliebe für Männer gehört hast?«
»Ja, das wäre eine passende Beschreibung.«
Elizabeth zuckte die Schultern. »Vielleicht hast du nichts gehört, da wir in unterschiedlichen Kreisen verkehren.«
»Früher oder später trifft jeder jeden«, erwiderte er. »Die Oberschicht ist ein endloser Reigen.«
»Das ist eine... hm... eigenartige Sichtweise.«
»Die meines Großvaters. Es ist wirklich sonderbar, Elizabeth, aber du schaffst es immer wieder, mir seine Stimme zu entlocken, wofür ich dir allerdings nicht dankbar bin. Ich bin zweiunddreißig, nicht zweiundachtzig.«
»Und ich dachte, du seiest viel jünger als ich.«
Northam war sich sicher, dass sie das nicht als Kompliment meinte. »Wie kommt das?«
»Du scheinst so unbeschwert durchs Leben zu schreiten. Obwohl dein Leben nicht nur aus Sonnenschein bestand,
vermittelst du das Gefühl, dir kaum Sorgen zu machen und auf ein gütiges Schicksal zu vertrauen. Das hält dich jung, vermute ich.«
»Du bist zu lang allein gewesen, Elizabeth. Familie, Freunde, das sind die Menschen, die dir über eine schwierige Zeit hinweghelfen.«
»Ich habe Freunde«, entgegnete sie entrüstet. »Louise. Den Baron. Sie waren immer gut zu mir.«
Er zweifelte, dass sie wusste, wie mechanisch sich ihre
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