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Tausche Brautschuh gegen Flossen

Tausche Brautschuh gegen Flossen

Titel: Tausche Brautschuh gegen Flossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliane Kobjolke
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in
die Vergangenheit und die Zukunft nachvollziehen kann, erwärme ich mich für die
Geschichte. Nichtsdestoweniger fallen mir nach 50 Seiten die Augen zu.
     
    Das sanfte Prasseln der Regentropfen ist das Erste, was ich beim Aufwachen
höre. Das Zweite ist ein zaghaftes Miau von Momo, der mein Erwachen bemerkt und
auf seinen Appetit aufmerksam macht. Wieder gibt es Whiskas für ihn und Knusperflakes
für mich. Nachdem ich drei Ladungen Wäsche gewaschen und die Wohnung aufgeräumt
habe, mache ich es mir auf der Couch gemütlich und versenke meinen Geist in den
Zeitreisen-Schmöker. Als ich gegen Abend ein Hungergefühl verspüre, schnippele ich
Obst in eine Schale. Mit Einbruch der Dunkelheit gieße ich mir ein Glas Wein ein
und versorge mich später noch zweimal mit Nachschub. Gegen Mitternacht verschwinde
ich im Bett und lese die letzten 20 Seiten des Romans.
    Ich bin stolz auf mich. Nicht nur
habe ich ein Buch in zwei Tagen ausgelesen – mein persönlicher Rekord –, ich habe
heute außerdem nicht einmal den PC angeschaltet. Jetzt bin eingelullt von der Geschichte
und bereit für das Traumland.
    Morgen werde ich ein anderes bislang
missachtetes Buch zum Retter des Tages ernennen.
     
    ›Du hast dich rar gemacht‹, beklagt sich der Inseltaucher nach meiner
fünftägigen Abwesenheit im Chat. ›Hat dich die Muse endlich geküsst?‹
    ›Leider nicht‹, antworte ich und
ignoriere seinen Vorwurf. Unsere abendliche Konversation hat mir gefehlt, aber eine
Routine möchte ich nicht daraus machen. ›Zwei Bücher und ich haben die Couch platt
gedrückt. Eines über Zeitreisen und einen John Grisham, in dem es um einen Anwalt
ging.‹
    ›Welches hat dir besser gefallen?‹
    ›Ersteres, eindeutig.‹
    ›Kann ich verstehen‹, schreibt der
Inseltaucher und lässt mich durch eine Abkürzung wissen, dass er schmunzelt. ›Beinahe
wäre ich selbst ein Anwalt geworden.‹
    ›Ach du Schreck! Wie bist du diesem
Schicksal entkommen?‹
    ›Dadurch, dass ich Deutschland den
Rücken gekehrt habe.‹
    Es erstaunt mich, dass er das Thema
aufgreift. Da er meine Erkundigung nach seiner verlassenen Heimat so abrupt abgeblockt
hat, wäre ich sicher nie wieder darauf zu sprechen gekommen. Auch jetzt mag ich
nicht fragen. Zum einen fällt mir partout keine Formulierung ein, zum anderen habe
ich das Gefühl, dass ich sowieso gleich eine Menge zu lesen zu bekomme.
    ›Ich stamme aus einem Vorort von
Stuttgart‹, flimmert es im Gesprächsfenster.
    Ich lehne mich zurück.
    ›Mein Vater war Anwalt mit eigener
Kanzlei und ich war dabei, in seine Fußstapfen zu treten. Riesige Fußstapfen waren
das, ein Lebenswerk und der Respekt einer ganzen Stadt. Mit alldem hatte ich weniger
ein Problem, wahrscheinlich wusste ich es nicht einmal recht zu schätzen. Im Nachhinein
betrachtet, hatte ich keine Ahnung von irgendwas, nicht einmal von dem, was ich
sein wollte, sondern war mir bloß sicher, dass es nichts mit meinem Jurastudium
zu tun hatte.‹
    Also hat er das Studium sausen lassen
und ist abgehauen?, überlege ich, verwerfe den Gedanken jedoch, als mir auffällt,
dass er von seinem Vater in der Vergangenheitsform spricht. Es musste eine Menge
mehr geschehen sein.
    Was der Inseltaucher
dann schreibt ist wie ein Film, der auf langweilige Weise harmonisch beginnt und
in einer sorglosen, kunterbunten, zukunftsfrohen Welt spielt. Neben dem Bilderbuchanwalt
gab es eine Bilderbuchmutter, die zu Hause blieb, um sich der Erziehung des Sohnes
zu widmen. Später bekam auch die Bilderbuchfreundin ihren Auftritt. An der Stelle
ihres von Emanzipation inspirierten Heiratsantrages hätte eigentlich der Abspann
des Films eingeblendet werden sollen, doch da ging er erst richtig los. Eine zweite
Frau tauchte auf, die mir persönlich zwar sympathisch erscheint, in den Augen der
Bilderbucheltern aber den Horror schlechthin verkörperte. Zu allem Unglück wurde
sie schwanger und die Familie zerstritt sich. Am Abend vor der geplanten Aussprache
kamen die Eltern bei einem Autounfall ums Leben. Die Beziehung zur schwangeren Freundin
ging in die Brüche, da sie sich für einen anderen Mann entschied. Am Schluss verlor
sie das Kind.
    Mir rasendem Puls warte ich auf
jede neue Zeile, dabei zweifele ich noch, ob ich das, was der Inseltaucher schreibt,
glauben kann. Natürlich passieren solche Tragödien, jeden Tag. Nur habe ich nie
jemanden kennengelernt, dem so viele Unglücke auf einmal geschehen sind und der
aus purer Verzweiflung und Schuldgefühlen vor sich selbst

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