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Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen

Titel: Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonymer Verfasser
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Schwiegertochter.

Die Geschichte von dem ungetreuen Verwahrer
    Ein Kaufmann, der im Begriffe stand, auf Reisen zu gehen, ließ bei einem seiner Freunde, einem Derwische, einen goldgespickten Geldbeutel zurück; nach beendeter Reise bat er sich sein ihm anvertrautes Gut wieder aus, jedoch leugnete der treulose Derwisch, etwas erhalten zu haben. Der entrüstete Kaufmann trug seine Klagen Moavie, dem Kadi von Bagdad, vor. Wenn unser Kaufmann weniger vertrauensselig gewesen wäre, als er dem Derwisch sein Gold überließ, und einen Zeugen dazu genommen hätte, wäre die Angelegenheit schnell zu entscheiden gewesen; aber er hatte diese Vorsichtsmaßregel außer acht gelassen. Der Kadi merkte wohl, daß es ein Ding der Unmöglichkeit sein würde, den ungetreuen Verwahrer zu überführen, sagte aber trotzdem zum Kaufmann, er solle anderen Morgens zurückkommen, und ließ auf der Stelle den Derwisch vor sich führen.
    Der Kadi empfing ihn gütig und bezeigte ihm eine Achtung, die er nicht fühlte, um dadurch sein Vertrauen zu gewinnen. Nach einer ziemlich langen Unterhaltung sagte er zu ihm: »Wichtige Angelegenheiten zwingen mich, für einige Zeit außer Landes zu gehen. Ich habe eine beachtliche Summe in Gold, die ich nicht mit mir zu nehmen wage, ich würde dich nicht zu meinem Verwahrer machen, wenn ich in der Stadt hier einen rechtschaffeneren Mann als dich kennte. Da es geheimgehalten werden muß, so will ich dir mein Gut morgen in der Nacht schicken!« Der hocherfreute Derwisch versicherte den Kadi seiner Redlichkeit, die zu brechen er fest entschlossen war, und kehrte in seine Wohnung zurück.
    Anderen Morgens versäumte es der Kaufmann nicht, zum Kadi zurückzukehren; sobald der ihn erblickte, sprach er zu ihm: »Gehe zu deinem Derwisch, und wenn er sich weigert, dir dein ihm anvertrautes Gut zurückzugeben, so drohe ihm, du wolltest mir deine Klagen vorbringen!« Der gehorchte ihm eifrig. Wie nun der Derwisch von dem Kadi sprechen hörte, dessen Vertrauen zu bewahren in seinem Nutzen lag, gab er sofort das Gut zurück; der überaus zufriedene Kaufmann eilte zum Kadi und bezeigte ihm seine Dankbarkeit.
    Indessen wartete der Derwisch voller Ungeduld auf die Erfüllung der Zusage, die ihm gegeben worden war: überrascht, keinerlei Nachrichten zu empfangen, begab er sich zu dem Kadi; wie groß jedoch war seine Überraschung, als ihm von diesem seine schlechte Aufführung vorgeworfen wurde. Ganz verstört zog er ab und war verzweifelt, daß ihn seine Vertrauensseligkeit so genarrt hatte.

Das Gleichnis der Freundschaft
    Ein Handelsherr hatte einen einzigen Sohn, den er sehr herzlich liebhatte, und ließ ihn mit viel Sorgfalt erziehen und sparte nichts zu seiner Herzens- und Geistesbildung. Die Erziehung des jungen Mannes war beinahe vollendet, als er beschloß, ihn auf Reisen zu schicken. »O mein Sohn,« sprach er eines Tages zu ihm, »glaube mir, unter allem, wessen man zum Leben bedarf, ist das größte Erfordernis, einen guten Freund zu haben. Verschwendung nimmt uns unsern Reichtum, die Kehrseite des Glücks läßt die Mächtigsten in Not versinken; doch nur der Tod allein raubt uns einen Freund, wie er uns selbst uns raubt; er ist der einzige Vorzug, den uns keine menschliche Gewalt entreißen kann; finde einen einzigen Freund in deinem Leben, und du hast das erste und größte aller Güter gefunden. Ich will deshalb, daß du die Welt durchwanderst; Reisen geben die wahre Kenntnis, je mehr Menschen man gesehen hat, desto besser weiß man unter ihnen zu leben. Die Welt ist ein großes Buch, das den belehrt, der in ihm zu lesen vermag; sie ist ein treuer Spiegel, der unseren Augen alle Dinge wiedergibt, deren Kenntnis uns fördern kann. Reise ab, o mein Sohn, und denke auf allen deinen Wegen nur die eine Erwerbung zu machen: die eines wahren Freundes. Opfere, wenn es not tut, ihm alles, was du an Kostbarkeiten mehr hast!«
    Der junge Mann nahm Urlaub von seinem Vater und reiste in ein Land, das wenig entfernt lag von dem, das er verlassen hatte; dort verweilte er kurze Zeit und kehrte dann in sein Vaterland zurück. Sein Vater, der erstaunt war ob einer so eiligen Rückkunft, sprach zu ihm: »Ich erwartete dich nicht so bald zurück.« Der Sohn antwortete ihm: »Du hattest mir aufgetragen, einen Freund zu suchen, und ich habe ihrer fünfzig gewonnen, die das Muster wahrer Freundschaft sind.« Der Vater erwiderte: »O mein Sohn, mißbrauche diesen heiligen Namen nicht; hast du vergessen, was der Dichter sagt? Rühme

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