Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
deinen Weg fortsetzen; ich will als Dieb so eigenartig sein, wie dein Gatte als Gatte eigenartig ist. Suche deinen glücklichen Liebhaber auf; doch ich will dich führen und geleiten, denn sonst möchtest du wohl gar einem minder eigenartigen Räuber begegnen, als ich es bin.« Mit diesen Worten nahm er sie bei der Hand und gab ihr das Geleit bis zum Hause ihres Liebhabers, wo er von ihr Abschied nahm und sie verließ.
Sie pochte an der Tür; und als ihr auf getan wurde, stieg sie in die Kammer ihres Liebhabers hinauf, der ob ihres Anblicks aufs höchste erstaunte. »O mein teurer Herr,« sprach sie zu ihm, »ich komme, um mein Versprechen zu halten, denn ich bin heute vermählt worden.« »Und wie«, rief der Jüngling aus, »hast du dich der ungeduldigen
Leidenschaft deines Gatten entziehen können ? Du solltest, so scheint es mir, in diesem Augenblick in seinen Armen liegen.« Da legte die Dame ihm ein aufrichtiges Geständnis über das ab, was zwischen ihr und ihrem Gatten vorgefallen war. Nun erstaunte der Liebhaber darob nicht minder, als der Räuber erstaunt war. »Ist es möglich, o meine Herrin,« sprach er zu ihr, »daß dein Gatte dir erlaubt hat, ein Versprechen zu halten, das ihn entehrt und ihm ein Gut raubt, von dem sich seine Phantasie die herrlichste Vorstellung gemacht haben muß ?« »Ja, o mein teurer Liebhaber,« erwiderte das Weib, »er willigt ein, daß ich deine Wünsche erfülle, um mein Wort einzulösen. Aber nicht nur meinem Gatten hast du zu danken, was er dir überläßt; du verdankst es ferner noch dem Edelmut eines Räubers, dem ich begegnet bin, als ich hierherkam.« Und sie erstattete ihm Bericht über die Unterhaltung, die sie mit dem Räuber geführt hatte, also daß das Staunen des Liebhabers noch mehr wuchs, und er sprach: »Soll ich glauben, was ich vernehme? Ein Gatte ist gütig genug, einen solchen Schritt gutzuheißen; und ein Räuber ist großmütig genug, die schönste Gelegenheit, die der Zufall ihm jemals bieten kann, nicht zu benutzen ? Ein solches Abenteuer ist sicherlich neu und verdient, daß man es verzeichne. Alle kommenden Jahrhunderte werden darob staunen; um aber die Bewunderung der Nachwelt noch zu steigern, will ich dem Gatten und dem Räuber nachahmen und ihrem Beispiel folgen. O meine Herrin, ich gebe dir dein Wort zurück, und also lasse es dir gefallen, daß ich dich in dein Haus zurückgeleite.« Mit diesen Worten reichte er ihr die Hand und führte sie bis vor die Tür ihres Gatten, wo sie sich trennten. Die Dame trat ein, und der Liebhaber kehrte nach Hause zurück.
Jetzt sagt mir, o meine Prinzen,« fuhr der Kadi von Kairo fort, »welchen unter diesen dreien findet ihr am edelmütigsten, den Gatten, den Räuber oder den Liebhaber?« Der älteste Prinz erwiderte, daß er den Gatten am meisten bewundere. Der zweite Prinz behauptete, der Liebhaber sei der höchsten Bewunderung wert. »Und du, o mein Herr,« fragte der Kadi den dritten Bruder, der Schweigen bewahrte, »welches ist deine Ansicht?« »Mir scheint,« erwiderte der junge Prinz, »daß der Dieb der großherzigste ist; ich begreife nicht, wie er den Reizen der Dame hat widerstehen und vor allem, wie er sich hat bezwingen können, also daß er sie nicht beraubte. Die Diamanten, mit denen sie geschmückt war, mußten seine Habgier gewaltig in Versuchung führen, und es ist erstaunlich, daß er die Kraft besaß, einen so großen Sieg über sich selber davonzutragen.« »O mein Prinz,« versetzte der Kadi, indem er ihm fest ins Auge blickte, »du bewunderst die Selbstbeherrschung des Räubers zu sehr, als daß ich dich nicht in Verdacht haben müßte, die Edelsteine des verstorbenen Königs, deines Vaters, genommen zu haben. Du hast dich selber verraten. Gestehe es, o mein Herr, und laß dich durch keine falsche Scham abhalten; wenn du schwach genug warst, einer Regung der Habgier nachzugeben, so kannst du deine Schwäche sühnen, indem du sie eingestehst.« Der Prinz nun errötete ob dieser Rede und gestand die Wahrheit ein.
Die Geschichte von einem Könige, einem Sufi und einem Arzte
Ein alter König der Tatarei schritt eines Tages aus seinem Palaste, um außerhalb der Stadt mit seinen Beis zu lustwandeln. Nun begegnete er auf seinem Wege einem Abdal, der mit erhobener Stimme rief: »Dem, der mir hundert Dinare schenkt, will ich einen guten Rat geben.« Der König blieb vor ihm stehen, um ihn zu betrachten, und sprach ihn an: O Abdal, welches ist denn der gute Rat,den du um hundert Dinare
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