Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
sprach: »Allah sei mein Zeuge! Mein Zorn ist vergangen.« Darauf sprach die Sklavin: »Und die den Menschen verzeihen!« Der Kalif sprach: »Allah sei mein Zeuge! So viele schuldige Menschen ich auch bei mir in Gefängnissen haben mag, sie seien hiermit alle frei!« Wiederum sprach die Sklavin: »Ja, Allah liebt die Gutes Tuenden!« Der Kalif entgegnete: »Allah sei mein Zeuge! Alle meine der Freiheit beraubten Diener seien hiermit frei! Und von allem Gelde, das ich besitze, erlaube ich euch aus Liebe zu Gott, heute die Hälfte unter euch zu verteilen!« Hierauf ließ er alle im Gefängnis befindlichen Leute herausholen, bekleidete sie mit Ehrenkleidern und bat sie wegen des ihnen geschehenen Unrechts um Verzeihung. So huldigte der Kalif Harun al-Raschid vermöge des segensreichen Einflusses dieses Koranverses so der Gerechtigkeit, daß jeder, welcher seiner noch jetzt gedenkt, sagt: »Allahs Barmherzigkeit walte über ihn!«
Die Geschichte vom Kaufmann und der verschmitzten Frau
Eine verschmitzte Frau in der Stadt Kairo packte eines Tages ihr goldgewirktes Kleid, das sie besaß, in ein Paket ein und gab es einer ihrer Sklavinnen in die Hand; sie selbst aber ging für sich und begab sich in die Kaufhalle zu einem großen Kaufmann. Hier packte sie das Kleid aus, legte es vor den Kaufmann hin und sprach: »O Herr, sage mir, wieviel ist dieses Kleid wert?« Der Kaufmann erwiderte: »Sechsmalhunderttausend Asper ist es wert!« Die Frau sprach: »Dieses Kleid soll bei dir als Unterpfand bleiben, gib mir nur einmalhunderttausend Asper darauf. Als Frist für die Rückgabe wollen wir einen Monat bestimmen; dann werde ich wiederkommen und es mir einlösen. Dafür mag dir alles Gute zuteil werden!« Da der Kaufmann der Frau nichts abschlagen wollte, so gab er ihr die gewünschten einmalhunderttausend Asper und legte das Kleid neben sich.
Die Frau nahm das Geld und ging aus dem Laden hinaus. Nachdem sie eine Weile gegangen war, kehrte sie um und trat wieder vor den Kaufmann hin. »O Herr,« sprach sie, »nimm dein Geld zurück und gib mir mein Kleid wieder!« Der Kaufmann gab der Frau das in das Paket eingewickelte Kleid zurück, nahm dafür das Geld in dem Beutel und legte ihn neben sich hin. Die Frau nahm das Kleid, ging auf einen weiten Platz hinaus, zog das Kleid aus dem Pakete hervor und legte an seiner Statt ein andres, grobes und schlechtgenähtes Kleid hinein. Damit kam sie wieder vor den Kaufmann und sprach: »O Kaufmann, wir haben dir viele Ungelegenheiten verursacht, gib uns das Geld zurück, wir brauchen es jetzt notwendig, habe die Güte und gib es uns, hier ist das Kleid!« Mit diesen Worten legte sie es in dem Pakete vor ihn hin. Der Kaufmann nahm es, ohne es zu öffnen und das darinliegende Kleid zu besehen, legte es an seine Seite und gab der Frau das Geld in dem Beutel wieder zurück. Sie nahm ihn, ging und gab sich von nun an dem Essen und Trinken und dem Wohlleben hin. Bin, zwei, drei Monate vergingen, und die Frau kam nicht wieder. Da erzählte dies der Kaufmann einem seiner Freunde. Dieser sprach: »Bringe das Kleid einmal her, wir wollen sehen, was es für ein Kleid ist!« Als sie das Paket öffneten, sahen sie, daß ein grobes und schlechtgenähtes Kleid darin lag, dessen Preis hundert Asper betrug. Der Kaufmann merkte nun wohl, daß die Frau eine ränkevolle und verschmitzte Diebin war, stand auf und ging zum Kadi hin, der über alle Diebe zu richten pflegte. Als er bei ihm seine Sache vorgebracht hatte, sprach der Kadi: »Die Frau hat dich überlistet; wir sind hier ja in der Stadt Kairo, wer findet da jemanden? Wenn du willst, daß sich diese Frau wiederfinde, so will ich dir einen Kunstgriff angeben, den führe aus; und findet sie sich auf dem Wege, so ist es gut; wo nicht, so findet sie sich überhaupt gar nicht wieder. Höre, was ich dir hiermit rate: gehe diese Nacht und schaffe alle Waren und Zeuge, welche du in deinem Laden hast, nach deinem Hause, zerschlage einige Bretter deines Ladens in kleine Stücke, komme vor dem Morgen und erhebe ein Klage- und Wehegeschrei, indem du sprichst: ,Diese Nacht hat ein Räuber meinen Laden aufgebrochen und mir alles, was ich darin hatte, genommen, – doch würde meine Lage noch erträglich sein, wenn nicht eine Frau ein ihr angehörendes, prachtvolles Kleid bei mir gelassen hätte, das nun auch mit fortgenommen worden ist!« »Wenn die Frau dann wiederkommt und es zurückhaben will, was soll ich da tun?« »So sprich und: jammere dabei!« Der Kaufmann
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