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Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen

Titel: Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonymer Verfasser
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aber den Kummer seines Herzens. Er sagte zu ihnen: »Welch schöne Gespräche führet ihr?« Nach geziemender Begrüßung aber sagten sie, daß sie zur Stunde nichts Bedeutendes besprochen hätten; und da das Mahl beendigt war, wollten sie sich erheben. Der Fürst aber bat sie mit vielen Worten, daß sie ihm ihre Gespräche mitteilen möchten, und gestand ihnen, daß er sie, ehe er eingetreten war, gehört hatte. Da sie ihm nun die Wahrheit weder verbergen mochten noch konnten, erzählten sie ihm der Reihe nach alles, was sie beim Essen gesprochen hatten.
    Als er bei ihnen in solcher Weise einige Zeit verweilt hatte, zog er sich in sein Gemach zurück und ließ sogleich den vor sich kommen, der für seinen Keller zu sorgen hatte, und fragte ihn, in welchem Teile des Landes der Wein hergestellt sei, den er heute morgen den Jünglingen übersandt habe.
    Nachdem er alles erfahren hatte, ließ er den Herrn des Weinberges zu sich rufen; und als der vor seinem Antlitze stand, fragte er ihn, ob der Weinberg, der in seiner Obhut war, von alters her ein Weinberg oder ob er erst neuerdings aus Brachen oder ungepflegten Ländereien zur Kultur hergerichtet wäre; da hörte er denn, daß dort, wo sich zur Stunde ein Weinberg befand, der so köstliche Weine lieferte, zweihundert Jahre früher ein Friedhof und eine Begräbnisstelle für Tote gewesen sei. Als der Kaiser solches erfahren hatte und überzeugt war, daß es wahr sei, was der Jüngling darüber gesprochen hatte, wollte er sich auch noch über die Aussage des zweiten vergewissern, da es nicht nötig war, daß er jemanden nach der Rede des dritten befragte, weil er wußte, daß er selbst den Sohn seines Wesirs seiner Missetaten wegen hatte töten lassen. Er gab also Befehl, daß der Hirt seiner Herde herbeigerufen würde, und fragte ihn, mit welcher Art Weidefutter er das Lamm gemästet habe, das er an diesem Tage für seine Tafel geschlachtet habe; der wurde nun bleich, und am ganzen Körper zitternd, antwortete er, daß das Lamm, das noch sehr jung gewesen sei, keine andere Nahrung als die Milch der Mutter bekommen hätte; doch es merkte der Kaiser an der Furcht, in der er den Hirten sah, daß er nicht wahr gesprochen hatte, und sagte zu ihm: »Ich merke nur zu genau, daß du mir etwas vorlügst, daher versichere ich dir, offenbarst du mir nicht zur Stunde die Wahrheit, lasse ich dich sogleich eines grausamen und herben Todes sterben!«
    »Ach, o Gebieter,« sagte der Hirt darauf, »möge es dir gefallen, mir das Leben zu schenken, ich will dir gewißlich alles erzählen.« Als der Kaiser ihm solches versprochen hatte, fuhr er fort: »O Gebieter, als das Lamm noch ganz klein war, und die Mutter eines Tages auf dem Felde weidete, entfernte sie sich um ein weniges und wurde mir von einem Wolfe geraubt; und da zufällig in den Tagen die Hündin, die ich als Wache der Herde halte, ihre Jungen geworfen hatte, wußte ich mir keinen bessern Rat, das kleine Lamm nähren zu lassen, als es an die Zitzen der Hündin zu legen; und es wurde von ihr so aufgezogen, daß ich es für eine deiner würdige Speise hielt, und schlachtete es und brachte es dir heute morgen und gab es deinem Haushofmeister!«
    Als der Kaiser dieses vernommen hatte, begann er wahrlich zu glauben, daß die mit solch tiefem und würdigem Verstände begabten Jünglinge mit prophetischem Geiste ausgestattet wären; und nachdem er den Hirten entlassen hatte, kehrte er zu den Jünglingen zurück und sprach zu ihnen: »Alles, was ihr mir erzählt habt, trifft zu und läßt mich glauben, weil ich in euch eine so edle und hohe Tugend finde, wie es die Kunst des Wahrsagens ist, daß sich drei Menschen euresgleichen auf der ganzen Welt nicht finden lassen. Aber sagt mir doch bitte, was für Anzeichen habt ihr heute bei Tische gehabt, daß ihr euch das mir Erzählte habt denken können?«
    Da antwortete ihm der älteste: »Daß der Wein, o Herr, den du uns heute bringen ließest, von Reben stammte, die auf einem Grabe wuchsen, habe ich also gemerkt: ich fühlte nämlich, als ich noch nicht das erste Glas ausgetrunken hatte, zumal ja immer das Herz des Menschen durch den Wein froh und lustig zu werden pflegt, daß ich alsbald von einer tiefen Traurigkeit und Schwermut befallen wurde; daraus schloß ich, daß der Wein, der eine solche Wirkung in mir hervorbrachte, wahrlich an keinem andern Platze als auf einem Friedhof gewachsen sein könnte.« »Und als ich«, fuhr der zweite fort, »einige Bissen von dem Lamme gegessen

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