Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
daß das verlorengegangene Kamel lahmte, weil ich nur die Trappen von drei Füßen des Tieres deutlich eingedrückt fand; der vierte schien mir aber, soviel ich aus den Spuren ersehen konnte, nachzuschleifen.«
Ob des Verstandes und der Klugheit der Jünglinge wunderte sich der Kaiser über die Maßen und wünschte zu hören, wie sie die drei andern Zeichen hatten in Erfahrung bringen können, und bat sie inständigst, ihm auch das erzählen zu wollen. Um seiner Bitte vollständig Genüge zu tun, sagte der Jünglinge einer:
»O Gebieter, daß das Tier auf der einen Seite mit Butter, auf der andern Seite mit Honig beladen war, habe ich daran gemerkt: auf der Strecke von gut einer Meile sah ich auf der einen Straßenseite unzählige Ameisen, die das herabgeträufelte Fett begehrten, auf der andern aber zahllose Mücken, die gierig dem Honig nachgingen!« »Und daß eine Frau auf ihm saß,« sprach der zweite, »schließe ich daraus: ich sah die Spur, wo sich das Kamel hingekniet hatte, und daselbst auch die Spur eines menschlichen Fußes, der mir der einer Frau zu sein schien, doch ich schwankte, weil er auch der eines Knäbleins sein konnte; als ich solches bei mir überlegte, sah ich, daß bei der menschlichen Spur Wasser gelassen war, und kauerte mich über besagten Harn nieder und wollte ihn riechen, und sogleich wurde ich hitzig von fleischlicher Lust ergriffen, was bewies, daß der Fuß einer Frau angehörte!«
Der dritte aber, der behauptet hatte, die Frau sei schwanger, sagte: »Ich mutmaßte es aus der Spur der Hände, die ich da in der Erde sah, weil sie, um die Last des Körpers, nachdem sie geharnt, wieder aufzurichten, ihrer Hände bedurfte!«
In grenzenlose Verwunderung versetzten die Worte der Jünglinge den Herrscher; und sie flößten ihm infolge ihres Verstandes eine unglaubliche Achtung ein, und er beschloß, sie in jeder Weise lieb zu haben und sie dergestalt zu ehren, wie es ihrem seltenen Werte angemessen war. Er ließ ihnen in seinem eigenen Palaste ein köstliches Gemach herrichten und bat sie herzlich, daß sie zustimmen möchten, einige Zeit bei ihm zu bleiben, indem er sie seiner höchsten Achtung versicherte, die er ihres schlagfertigen und hohen Verstandes wegen für sie gefaßt hatte.
Wie sich nun die Jünglinge derart von einem so großen Fürsten geehrt sahen, sagten sie ihm seiner großen Höflichkeit halber vielmals Dank und beschlossen, auf das schnellste jedem seiner Wünsche Genüge zu leisten. Darauf wurden sie vom Kaiser selbst in die hergerichteten Gemächer geführt und nach Schicklichkeit herrlich behandelt. Und es verstrich kein Tag, an dem der Kaiser nicht wenigstens drei Stunden mit ihnen verschiedene Gespräche führte und an ihrer großen Klugheit und ihrem raschen Verstände herzlich Freude hatte; zu often Malen versteckte er sich auch in einem ihrem Gemache anliegenden Räume und hörte sie immer von hohen Dingen reden, wurde ihrer froh und ging so hinweg. Und er gab Befehl, daß die Jünglinge von seiner eigenen Tafel gespeist würden; eines Tages nun, als es zur Essenszeit war, ließ er ihnen ein fettes Lamm, unter vielen andern köstlichen Speisen, und einen Krug herrlichen Weines darbieten und zog sich in den Nebenraum zurück, um ihren Gesprächen mit viel Vergnügen zu lauschen.
Als jetzt die um den Tisch sitzenden Jünglinge das Lamm zu verzehren und den Wein zu trinken begannen, den der Kaiser ihnen hatte zustellen lassen, sprach der älteste: »Wahrlich, ich glaube, daß der Weinstock, von dem dieser Wein stammt, der uns da heute als ganz etwas Besonderes vorgesetzt ist, auf einem Grabe steht, und kann mir nicht denken, daß es sich anders verhält!« »Und was mich angeht,« sagte der zweite, »so können mich alle Weisen der Welt nicht anders bereden, als daß dieses Lamm, das da heute vor uns steht, mit Hundemilch genährt ist!« Es dauerte nicht lange, und es hub der dritte zu sprechen an: »Gar sehr, o Brüder, schmerzt mich eine Sache, die ich heute morgen gemerkt habe, und sie besteht darin, solches konnte ich aus einigen Zeichen entnehmen: der Herr, von dem wir so viele Höflichkeiten empfangen haben, hat einen Sohn seines Wesirs um begangener Missetat willen töten lassen; sein Vater trachtet nun nur darauf, wie er, um seines Sohnes Tod zu rächen, seinen Herrn ums Leben bringen kann!«
Die Reden der Jünglinge aber hatte der Kaiser gar wohl vernommen und wurde über die Aussage des dritten gar sehr bestürzt und trat in ihr Gemach ein, verbarg
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