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Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen

Titel: Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonymer Verfasser
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dargebotenen Trank selbst trinken mußte, zweifelte er nicht, daß sein Verrat entdeckt war, und sprach: »O Gebieter, in die Grube, in die ich dich stürzen wollte, bin ich selbst gefallen; weil ich dich aber immer als einen von Natur zur Milde neigenden Herrscher gekannt habe, darf ich hoffen, daß du mir meinen Fehler verzeihen wirst, da ich dir eine Warnung für dein sehr wichtiges Leben geben will. Wenn du irgend jemandes Sohn des Todes hast sterben lassen, solltest du seinem Vater nimmer erlauben, daß er in deiner Nähe verweilt; wisse, da du meinen Sohn begangener Missetaten halber hast töten lassen, habe ich mich trotz der vielen Güte und der Geschenke, die du mir deswegen gemacht hast, meines großen Seelenschmerzes nicht entraten und dich niemals sehen können, ohne daß sich all mein Blut empörte und mir der Gedanke, dir den Tod zu geben, kam; und wiewohl ich von dir zahllose Ehren und Guttaten empfangen habe und du meinen Sohn eines gerechten Todes hast sterben lassen, mischte ich trotzdem ungerechterweise diesen Gifttrank, weil ich auf solche Weise meines Sohnes Tod rächen zu müssen glaubte.« Nachdem der Kaiser den schwarzen Plan seines Wesirs gehört hatte, schenkte er ihm das Leben; verbannte ihn aber sogleich aus seiner Nähe, zog all seine Habe ein und ließ ihm wissen, er solle innerhalb dreier Tage die Grenzen seines Königreichs verlassen. Er sagte hierauf dem Allmächtigen heißen Dank, weil er ihn aus einer solch großen Gefahr befreit hatte. Hierauf begabte er das Weib, das ihm den schweren Verrat entdeckt hatte, reichlich und verheiratete sie mit einem seiner ersten Emire. Nach solchem Geschehen suchte er die Jünglinge auf, erzählte ihnen den ganzen Ausgang des Mahles bei seinem Wesir und sprach, während er sie königlich beschenkte, zu ihnen: »Da ihr mit solcher Klugheit und so hohem Verstände begabt seid, daß ihr so viele Dinge habt erraten können, und mein Leben aus den Händen des ungerechten und bösen Wesirs befreitet, zweifle ich nicht, daß ihr auch in einer großen Sache, die ich jetzt vorhabe, Rat schaffen könnt. Und ich glaube wahrlich, daß ihr mir solches nicht abschlagen werdet: habe ich doch heute schon bei einer Angelegenheit, die für mein Leben wichtig war, die große Liebe entdeckt, die ihr zu mir fühlt!«
    Als sie ihm nun ihre Hilfe in jeder Sache sogleich angetragen hatten, hub er an und sprach: »Es wurde von alten Weisen dieses Königreichs, die meine Vorgänger jederzeit hochgeachtet haben, eine Art Spiegel erfunden, den sie den Spiegel der Gerechtigkeit nannten, sintemal er die Eigenschaft hatte, daß, wo zwei zusammen einen Prozeß führten und der Richter sie in ihn hineinblicken ließ, dem, der ein Unrecht begangen hatte, sogleich das Gesicht schwarz wurde, und der, welcher sich wahrhaft verteidigte, seine gewöhnliche Farbe beibehielt und erfolgreich vom Richter fortging. Daher bedurfte man von Stund an der notwendigen Zeugen nicht; und dank der Tugend, die dem Spiegel innewohnte, lebte man in solcher Ruhe und Frieden, daß man das Reich hier dem Paradiese selbst vergleichen konnte. Wem nun für seinen Betrug das Antlitz schwarz wurde, der konnte durch kein andres Mittel in seinen früheren Zustand wieder zurückversetzt werden, außer daß man ihn in einen ziemlich tiefen Brunnen hinunterließ, wo er nur mit Brot und Wasser das Leben fristen und hier vierzig Tage verweilen mußte. Nach solcher Buße wurde er aus dem Brunnen gezogen und vor das Volk gestellt; Und wenn er jetzt seine Sünden bekannte, erhielt er seine frühere Hautfarbe wieder. Aus Furcht vor dem Spiegel nun lebte man in großer Ruhe, und ein jeder war mit seinem Zustande zufrieden, und man beschäftigte sich mit der Feldwirtschaft; das Land aber trug vielfältig, und jeder arme Kaufmann oder Fremdling, der anderswo wohnte, kehrte reich in sein Vaterland zurück. Und die Feinde des Landes hielt der Allmächtige mit aller Macht fern, und jeder erfreute sich viele Jahre lang eines ruhigen und glücklichen Lebens.
    Es lebte zu diesen Zeiten nun mein Großvater, der zwei Söhne, meinen Vater und meinen Oheim, hatte; als die jedoch nach seinem Tod, der Herrschaft wegen, miteinander haderten, geschah es, daß mein Vater der Sieger verblieb. Um aber eine Gelegenheit zu haben, sich an seinem Bruder zu rächen, bemühte sich mein Oheim, daß er ihm den Spiegel raubte; und mit ihm flüchtend, brachte er ihn nach Indien. Dort war eine Jungfrau Königin, welche die Regierungssorgen einem ihrer

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