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Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen

Titel: Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonymer Verfasser
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aber ihr sollt unverzüglich das gestohlene Kamel herausgeben; wofern solches nicht ohne jede Verzögerung geschieht, sollt ihr morgen beizeiten wie Räuber eines schändlichen Todes sterben!«
    Als die Jünglinge die Worte und den Beschluß des Kaisers vernommen hatten, waren sie ein wenig über solchen Ausgang betrübt; sie trösteten sich jedoch mit ihrem reinen Gewissen und ihrer Unschuld und antworteten ihm: »O Gebieter, wir sind drei Wandersieute, die sich aus keinem andern Grunde auf der Wanderschaft befinden, als um verschiedene Länder und die Wunder zu sehen, die sich in dieser Welt antreffen lassen; und zu solchem Zwecke sind wir hier. Als wir in dein Land gekommen waren, stießen wir nicht gar fern von dieser Stadt auf den hier anwesenden Kameltreiber, der uns fragte, ob wir zufällig ein Kamel, das er verloren habe, auf dem Wege gesehen hätten; da wir nun nichts weiter auf der Straße gesehen hatten als die vielen Anzeichen des verlorenen Kamels, antworteten wir Scherzes halber, daß wir ihm begegnet seien. Und auf daß er unsern Worten, die wir ihm über sein Kamel sagten, Glauben schenkte, beschrieben wir es dem Kameltreiber genauer, und zufällig stellten sich die Angaben als richtig heraus; und als er auf dem von uns gewiesenen Wege das gestohlene Kamel nicht wiederfinden konnte, hat er uns ungerechterweise beschuldigt, daß wir ihm sein Tier geraubt haben. Und hat uns hierher vor dein Angesicht geführt und uns beleidigt, wie du siehst. Solches aber, was wir sagen, ist die Wahrheit. Sollte es sich aber anders zugetragen haben, so sind wir einverstanden, daß du uns des Todes sterben läßt, den du über uns verhängst; wie hart und grausam er auch immer sein mag!«
    Als der Kaiser die Worte der Jünglinge gehört hatte, vermochte er nicht zu glauben, daß die sechs dem Kameltreiber angegebenen Zeichen zufällig alle hätten richtig sein können, und sprach zu ihnen: »Ich glaube wahrlich nicht, daß ihr drei Propheten, sondern vielmehr drei Straßenräuber seid, welche die Leute ermorden, die ihnen auf der Straße begegnen; und darum meine ich solches, weil ihr euch auch nur in einem der sechs Zeichen, die ihr dem Kameltreiber angegeben habt, nicht irrtet.« Also redend, ließ er sie wieder ins Gefängnis bringen.
    Es begab sich inzwischen, daß ein Nachbar des Kameltreibers in eigenen Geschäften über Land ging und das verlorene Tier auf der Straße wiederfand; er erkannte es und brachte es nach seiner Rückkehr seinem Herrn, der sein Nachbar war, zurück. Wie nun der Kameltreiber sich seines Irrtums bewußt wurde und bei sich bedachte, in welch großer Gefahr die Jünglinge auf seine Anklage hin schwebten, lief er unverzüglich zum Kaiser und ließ ihn wissen, daß er sein Kamel wiedergefunden habe, und bat ihn gar demütiglich und inständig, die unschuldigen Jünglinge aus dem Gefängnis herauszulassen. Als der Kaiser solches vernahm, schmerzte es ihn sehr, die unglücklichen Jünglinge eingekerkert zu haben, freute sich aber über die Maßen, daß er ihnen noch nichts Arges zugefügt hatte, und gab Befehl, sie sogleich aus dem Gefängnis zu holen und vor sein Angesicht zu bringen, was ohne eine Verzögerung von seinen Dienern ausgeführt wurde. Zuerst entschuldigte er sich, sie auf die falsche Anklage des Kameltreibers hin eingekerkert zu haben, hierauf verlangte er zu wissen, wie sie die Zeichen des verlorenen Tieres hatten erraten können, und bat sie gar sehr, ihm solches offenbaren zu wollen.
    Da nun die Jünglinge dem Kaiser deswegen in jeder Weise genugtun wollten, sagte der älteste zu ihm: »O Gebieter, daß das verlorene Kamel auf einem Auge blind war, schließe ich daraus: als wir die Straße entlang wanderten, auf der es auch gegangen war, sah ich, wie an ihrer Ränder einem das Gras, das magerer war als das, das am andern Wegrande wuchs, völlig niedergetreten und abgefressen war, während es am andern Rande noch vollständig unberührt stand. Daraus schloß ich, daß es auf dem Auge blind ist, da es die Seite, wo das fette Gras wuchs, nicht hatte sehen können, weil es sonst wohl statt des fetten das magere würde haben stehenlassen!«
    Der zweite fuhr fort und sagte: »O Herr, daß diesem Kamele ein Zahn fehlte, habe ich daran gemerkt, daß sich alle paar Schritte auf dem Wege einige Bissen gekautes Gras vorfanden, die so groß waren, daß sie durch den Spalt, den ein solcher Tierzahn einnimmt, fallen konnten!«
    »Und ich, o Gebieter,« hub der dritte an, »erkannte daran,

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