Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
Verzögerung nachgekommen. So kam denn die in köstliche Gewänder gekleidete Jungfrau mit ihrem Herrn vor Behram- Gur, der, als er ihre seltene Schönheit sah und ihr liebliches Spiel und ihren Sang vernahm, den sie in seiner Gegenwart hören ließ, von hitziger Liebe zu ihr ergriffen wurde; und nachdem er dem Kaufmann eine große Summe Geldes hingezählt hatte, kaufte er sie und ließ sie in reiche und kostbare Gewänder kleiden. Und er war so über die Maßen von Liebe zu der Jungfrau ergriffen, daß, wenn er der Staatsgeschäfte ledig war, er immer nur mit ihr zusammen sein wollte. Als er nun eines Tages mit ihr auf die Jagd zog und auf einen Hirsch traf, wandte er sich zu Dilirama und sprach: »Siehst du den Hirsch? Sogleich werde ich ihn mit einem Pfeile durchbohren, deshalb sage mir, an welcher Stelle du ihn erschossen haben willst; wenn du mir das gesagt hast, will ich ihn wahrlich an der Stelle treffen!« Hierauf antwortete sie: »Ich, o Gebieter, bin der festen Überzeugung, daß du ein so tüchtiger Schütze bist, daß du den Hirsch an der Stelle, wo du es willst, auch triffst; da du aber wünschst, ich soll angeben, welchen Schuß du tun sollst, so wird es mir lieb sein, wenn du dem zu treffenden Tiere mit einem einzigen Schusse eine Pfote mit dem Ohre zusammenheftetest!« Dilirama aber bildete sich ein, daß es der Fürst nicht ausführen könnte, da es ein Ding der Unmöglichkeit sei. Behram- Gur, der einen edlen und hohen Verstand hatte, versprach jedoch, den Auftrag der Jungfrau sogleich auszuführen; er nahm einen Bogen mit Kügelchen zur Hand, drückte ab und traf mit den Kügelchen das Ohr des Hirsches, der sich nun des schmerzenden Schusses halber, wie es unvernünftige Tiere zu tun pflegen, das Ohr mit der Pfote kratzte. Hierauf nahm der Kaiser unverzüglich einen Bogen mit Pfeilen, schoß ihn ab und heftete dem Hirsch, der sich immerfort kratzte, mit einem Schusse die Pfote ans Ohr. Dieses setzte jeden seiner Edlen in maßlose Verwunderung, und sie sahen darin ein Zeichen von Behram-Gurs hoher und scharfsinniger Urteilskraft; da wandte sich der Kaiser frohen Antlitzes gegen die Jungfrau und sagte: »Was sagst du, o Dilirama, meinest du, daß ich deiner Forderung genuggetan habe?« Hierauf erwiderte sie lächelnd: »Ich meine, o Herr, daß du einen solchen Schuß niemals hättest tun können, wenn du nicht den Hirsch und mich auf gleiche Weise mit dem Bogen mit Kügelchen getäuscht hättest; doch mit dem Betruge, dessen du dich bedientest, hätte auch ein anderer Mensch die Pfote mit dem Ohr des Hirsches zusammenheften können!« Als der Kaiser solche Worte hörte, schien es ihm, daß sie allzu scharf seien und daß sie seine Ehre befleckten, da sie die Ersten seines Gefolges gar deutlich vernommen hatten. Und so sehr er in Liebe zu ihr entbrannt war, wurde er trotzdem plötzlich von heftigem Zorne ergriffen und glaubte, daß er seine Ehre wahren müßte, und befahl seinen Dienern, sie sollten die Jungfrau sogleich entkleiden und ihr die Hände auf den Rücken binden und sie in einen nicht weit entfernten Wald führen, wo sie nachts die wilden Tiere verschlingen könnten. Als die Diener dies ungesäumt ausgeführt hatten, schleppten sie die unglückliche und heftig jammernde Jungfrau in den Wald und überließen sie dort den wilden Tieren; dann kehrten sie zu ihm zurück und berichteten, daß sie dem Befehle voll nachgekommen wären. Nachdem Behram-Gur dies vernommen hatte, begab er sich, von Liebe und Zorn heftig gepeinigt, ganz traurig und betrübt in die Stadt zurück.
Schließlich überraschte Dilirama, die mit gebundenen Händen im Walde zurückgeblieben war, die Nacht; bitterlich weinend und sich Allah empfehlend, ging sie auf vielen Wegen, indem sie erwartete, daß von irgendeiner Seite ein wildes Tier kommen könnte, um sie zu verschlingen; und so wandernd, kam sie auf die Hauptstraße, und es gefiel Allah, daß um Sonnenuntergang eine Schar Kaufleute, die nach der Herberge zogen, die nicht weit davon entfernt war, die Jungfrau in ihrem traurigen Zustande weinen hörten. Da ging nun der älteste von ihnen der Stimme nach und näherte sich ihr; er sah sie, und da sie jung und schön war, hatte er das größte Mitleid mit ihr und band ihr die Hände los und bekleidete sie notdürftig mit Kleidern und führte sie mit sich nach der Herberge. Und er fragte sie, woher sie stammte und worauf sie sich verstünde, wie und von wem sie aufgezogen und gebunden, und aus welchem Grunde sie in solches
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