Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
geraubt waren. Da erzürnte nun der Herrscher heftig, und sobald der Goldschmied aus dem Orte zurückkehrte, ließ er ihn festnehmen und vor sein Angesicht führen und erinnerte ihn an die Wohltaten, die er ihm erwiesen, und die Ruchlosigkeit und den Raub, den er begangen hatte. Er gab dann Befehl, daß man ihn auf die Höhe eines Turmes, der nicht weit von der Stadt war, führensollte, aus dem er, nachdem die Pforte vermauert wäre, nicht mehr hinausgehen könnte, auf daß er hier Hungers sterbe oder sich gar von der Höhe des Turmes hinabstürze und sich selbst töte. Dies wurde sogleich von den Dienern ausgeführt. Es brachte aber seinem Weibe, das die Ursache allen Übels war, weil es ihrer Freundin das Geheimnis, wie man den Löwen wägen könnte, anvertraut hatte, Qual und über die Maßen schweren Kummer. Als sie nun schmerzensreicher als irgendein anderes Weib war, ging sie am folgenden Morgen beizeiten heftig weinend nach dem Turme und stellte hier mit ihrem Manne ein großes Klagen an und gestand ihm, daß sie die Ursache seines Elends wäre, da sie der treulosen und verräterischen Freundin die Weise, wie man den Löwen zu wägen vermöchte, offenbart hätte. Doch der Gatte, der in dem Turme eingemauert war und in kurzer Zeit des Todes sterben zu müssen glaubte, sagte zu seinem Weibe: »Die Tränen sind jetzt überflüssig; da du ja wohl einsiehst, meinen Tod verursacht zu haben, und weil es billig ist, wenn du allein mich von ihm befreist, so lasse mich durch Taten wissen, daß du mich wahrhaft liebst und deine große Übeltat bereust. Du siehst, ich bin auf dieser Turmhöhe gezwungen, entweder Hungers zu sterben oder mich von ihr hinabzustürzen und mir damit selbst den Tod zu geben; nun bist du mit all deinem Können verpflichtet, mir zur Rettung meines Lebens zu verhelfen. Kehre sogleich nach der Stadt zurück, aus der du viele lange und sehr dünne Seidenfäden holen sollst; binde diese vielen Ameisen an die Beine; die sollst du dann an die Mauer setzen und ihren Kopf mit Butter beschmieren, weil sie die gar sehr lieben; und wenn sie ihren Geruch verspüren, werden sie immer höher kriechen, da sie vermuten, dann der Butter nahe zu kommen. So darfich dann hoffen, daß wenigstens eine von ihrer großen Zahl heraufkommt. Wenn das, so es Allah gefällt, zutrifft, werde ich wahrlich in wenigen Stunden mein Leben retten können; zumal, wenn du mit den dünnen Seidenfäden auch starke geholt hast, die du an die dünnen binden sollst; und die will ich heraufziehen; und an sie sollst du dann ein dünnes Seil knüpfen, wodurch es möglich wird, daß ich ein starkes nach oben ziehen und mit einer Winde an der Höhe dieses Turmes anbinden kann; und alle Sachen sollst du heimlich mit dir aus der Stadt bringen, mit ihnen will ich mich aus der gewissen Todesgefahr befreien!< Als die schmerzensreiche Frau solche Worte vernommen hatte, tröstete sie sich ein wenig, ging unverzüglich nach der Stadt zurück und fand sich nach wenigen Stunden mit allen von dem Gatten geforderten Dingen wieder am Turme ein und brachte alles nach der gegebenen Anordnung zur Ausführung. Es traf ein, daß er den Strick und die Winde nach nicht langer Zeit hinaufziehen konnte, und nachdem er an einem dicken Balken, der dort war, die Winde befestigt hatte, ließ er um die erste Stunde der Nacht ein Seilende hinab und befahl seiner Frau, sie solle es sich um den Leib binden, sintemal sie nicht die Kraft habe, wenn er sich hinunterlassen wolle, das Seilende mit den Händen festzuhalten; so nun würde er sich ganz sacht durch das Gegengewicht ihres Körpers hinablassen, und wenn er auf dem Boden wäre, würde er sie mit dem Ende des Strickes, mit dem er sich umwunden habe, ganz sacht herablassen. Solches wurde sogleich von der Frau, die nichts weiter als die Rettung ihres Mannes im Sinne hatte, ausgeführt, und indem sie sich das Seilende um den Leib schlang, gab sie dem Manne Gelegenheit zu einer sicheren Lebensrettung. Wie er nun unten auf der Erde und die Frau auf derHöhe des Turmes angelangt war, sagte er, sie solle auf den Turm steigen und das Seilende, an das sie angebunden war, herabwerfen, weil er ein Holzbrett hineinspannen wolle, auf dem sie, wenn sie sich das Seil von neuem umschlänge, wie auf einem Holzpferde sitzend ganz sicher nach unten kommen könne. Wie die Frau aber, um den Worten ihres Mannes zu gehorchen, das Seilende nach unten warf, nahm er es in grimmem Zorne und zog es ganz von der Winde herunter; und nach der Höhe
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