Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
verstünde. »Und wenn wir uns ein andermal treffen,« sagte sie, »hoffe ich dir deinen Zweifel nehmen zu können!« In ihr Haus zurückgekehrt, erwartete sie voller Verlangen die Nacht, zumal sie glaubte, zu keiner besseren Zeit dies von ihrem Mann erfahren zu können, da dieser bisweilen launenhaft war. Als nun die Nacht und die Stunde des Schlafengehens nahte, legten sie sich beide zu Bette. Und hier begann das Weib ihren Mann zu umarmen; und mit ihm über die Vortrefflichkeit des Löwen, den er gemacht hatte, plaudernd, setzte sie ihm in einer langen Rede auseinander, daß sie keinen andern Fehler an ihm habe finden können, denn daß man ihn, da er aus Gold, und von hohem Werte wäre, seines großen Gewichtes wegen niemals habe wägen können. »Und da du ihn wahrlich«, sprach sie zu ihrem Manne, »mit so hoher Kunst gemacht hast, daß man ihn mit Rädern, die du unter seinen Pfoten angebracht hast, leicht überallhin fahren kann, so vermagst du sicherlich mit deiner Klugheit auch für diesen Fehler eine Abhilfe zu schaffen!« Diese Worte hörte der Goldschmied nicht gern, erstens, weil er fürchtete, wenn er seinem Weibe sein Geheimnis offenbarte, könnte eines Tages sein Diebstahl entdeckt werden, dann aber auch, weil es ihm schien, wenn er ihr das Mittelverheimlichte, könnte er an Ansehen bei ihr sehr viel verlieren. »Ich habe mir vorgenommen,« sprach er, »das Geheimnis keinem Menschen zu enthüllen; da du aber mein Weib bist und ich dich so lieb wie meine Seele habe, so will ich es dir nicht verborgen halten. Versprich mir jedoch, daß du es zu keiner Zeit einem andern Menschen entdecken willst, weil nämlich, wenn es anders geschieht und jemand um mein Geheimnis weiß, nicht nur mein Ruhm dadurch verringert wird, sondern auch du hinfort weniger unter allen Weibern geachtet und geehrt werden wirst!« Nachdem die Frau ihrem Manne zugesichert hatte, niemals zu irgendwem davon sprechen zu wollen, hub der Goldschmied also an: »Du weißt, wie leicht man den Löwen auf Rädern überallhin fahren kann; wenn nun jemand sein Gewicht feststellen will, braucht er ihn nur ans Meer zu fahren und in ein Schiff zu laden; und wenn er nun im Schiffe ist und man außen am Schiffe bezeichnet, wie tief es ins Meer hinabtaucht, und den Löwen dann wieder hinausschafft und es von neuem bis zu dem Zeichen mit Steinen oder andern Lasten beschwert, die man dann wägt, so kann jedermann leicht das Gewicht des Goldes, das er schwer ist, ausrechnen.« Als das die Frau vernommen hatte, versprach sie ihrem Mann, ein so wichtiges Geheimnis vor jedermann hüten zu wollen. Sobald es Tag geworden war, erhob sie sich nichtsdestoweniger, da Weiber gewöhnlich einen kurzen Verstand haben, von der Seite ihres Mannes und ging fort zum Gebet und begegnete hier ihrer Freundin, des andern Goldschmieds Weib, dem sie alles, was ihr der Mann anvertraut hatte, sagte; sie bat ernstlich, daß sie zu keinem andern davon sprechen möchte; nachdem die ihrer Freundin das versprochen hatte und sie noch ein wenig beieinander geblieben waren, kehrte jede in ihre Wohnungzurück. Hier erzählte des andern Goldschmieds Weib, die ihrer Freundin versprochen hatte, das Geheimnis, wie man den Löwen wägen könnte, zu wahren, ihrem Manne, froh und über die Maßen fröhlich, unverzüglich alles, was die gesagt hatte, und ermahnte ihn, sogleich aufzubrechen und den Gebieter um den begangenen Diebstahl wissen zu lassen. Auch ohne die Ermahnungen seiner Frau hatte der Goldschmied längst beschlossen, das zu tun, und ging folgenden Morgens beizeiten nach dem Palast des Gebieters und ließ ihn durch einen seiner Kämmerlinge wissen, daß er ihm eine wichtige Sache mitzuteilen habe. Und als er vorgelassen wurde, offenbarte er ihm den von dem Goldschmied begangenen Diebstahl und erklärte ihm, wie man solches nachweisen könnte; er erbat dann Urlaub von ihm und kehrte nach Hause zurück. Hierauf ließ der Herrscher den Goldschmied, der den Löwen hergestellt hatte, vor sich kommen und beschloß, ihn irgendwohin außerhalb der Stadt zu schicken, um sich ohne sein Wissen von dem überzeugen zu können, dessen er angeklagt war, und entsandte ihn in einigen Geschäften des Palastes nach einem Ort, der eine Tagereise von der Stadt entfernt lag; und in derselben Nacht, in der er aus der Stadt ging, ließ der Gebieter gemäß der Angabe den Löwen an das Meer bringen und wägen; es stellte sich aber heraus, daß mehr denn zweihundert Gewichte Goldes von dem Goldschmied
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