Tausend und eine Nacht, Band 4
zu dir gelangen? – Tritt nur auf den goldenen Skorpion, antwortete die Stimme, welcher zu deiner Rechten auf der Platte liegt! Als ich dies tat, öffnete sich eine Tür, und ich sah einen schönen jungen Mann an den Füßen aufgehängt. Wer hat dich so gehängt? fragte ich, ihn schnell losbindend, Hindmars Sklaven, antwortete er. Ich hänge schon acht Tage hier, und morgen Abend soll ich geschlachtet und von Hindmar verzehrt werden. – Sei ohne Furcht, Hindmar ist tot, sagte ich ihm; erzähle mir nun, wie du hierhergekommen und wer du bist. – Mein Name ist Tadj Almuluk, hob der Jüngling an, und seit drei Monaten bin ich König von Tauris. Ich war von meiner Jugend an ein großer Jagdliebhaber, und sehr schwer fiel es mir, nach meines Vaters Tod einige Zeit dem Vergnügen der Jagd entsagen müssen. Sobald daher die ersten Trauermonate vorüber waren, veranstaltete ich eine große Jagdpartie; wir trieben aber lange umher, ohne etwas jagen zu können. Endlich zogen wir im Kreis in ein schönes grünes Tal, und als der Kreis enger wurde, befanden sich drei Gazellen darin, so lieblich, wie ich noch keine im Leben gesehen. Der Kreis zog sich immer näher zusammen, aber die Gazellen hüpften darüber weg, ehe jemand nach ihnen zielen konnte. Dies schmerzte mich so sehr, daß ich meinen Leuten befahl, zurückzubleiben, und ganz allein diese Gazellen verfolgte. Zwei derselben hatten aber schon einen zu großen Vorsprung, und ich verlor sie bald aus dem Auge. Die dritte hingegen hüpfte immer vor mir her, bis ich endlich kurz vor Sonnenuntergang ihr so nahe war, daß ich mit meinem Bogen nach ihr zielen konnte. Mein Pfeil traf ihr Herz und sie sank hin; aber wie groß war mein Erstaunen, als ich statt einer schönen Gazelle nichts als einen Haufen Asche fand. Nun bereute ich es, mich von meinen Leuten so weit entfernt zu haben, denn die Nacht brach heran und ich wußte nicht, wohin mich wenden. Ich irrte eine Weile umher, da stieß ich auf ein Beduinenlager von ungefähr hundert Zelten am Fuße eines Berges. Ich trat in das erste Zelt und sah darin einen Jüngling wie der Mond in der vierzehnten Nacht; er hatte einen alten Kaftan an, den er eben ausbesserte, und rezitierte dabei folgende Verse:
»Wer wenig Güter hat, den verachtet die Zeit; nur wer viel Geld hat, wird geehrt. Hätte ein Hund viel Geld, so würde man aus Ehrfurcht ihn Hund des Glaubens nennen.«
Ich sah mich im Zelt um und fand nichts als einen weißen Hahn darin. Sobald der Jüngling mich erblickte, sagte er: Friede sei mit dir! – Mit dir sei Gottes Friede, Segen und Barmherzigkeit! antwortete ich ihm. Du scheinst verirrt zu sein, sagte er; ich freue mich, daß Gott deine Schritte hierher gelenkt; sei mir willkommen als mein Gast. Er nahm mir dann mein Pferd ab und band es an einen Pfosten des Zeltes; dann trug er den Hahn in ein nachbarliches Zelt und nach einer Weile kehrte er wieder mit einem Weinkrug, einem Laib Brot, einer Schüssel voll Oliven, einigen syrischen Aprikosen und einem Säckchen voll Gerste. Letzteres legte er dem Pferd vor und das übrige stellte er neben mich und sagte: Im Namen Gottes! Wir aßen und tranken miteinander, bis wir satt waren. Als ihm aber der Wein in den Kopf stieg, rezitierte er folgenden Vers:
»Beruhige dich, du bleibst nicht lange in der Fremde, morgen löse ich dich mit meinem Leben aus. Nur um eine heilige Pflicht zu erfüllen, trennte ich mich von dir; Gott wird dich mir wieder schenken!«
Ich fragte ihn, was diese Verse bedeuten. Da sagte er: Ich bin der tapferste und der ärmste Mann in der ganzen Wüste; doch lasse ich keinen Fremden an meinem Zelt vorübergehen, ohne ihn zu bitten, bei mir einzukehren. Heute, als du mich mit deinem Besuch beehrtest, hatte ich gar nichts mehr, als einen weißen Hahn, den ich in meinem Zelt erzogen; ich mußte ihn daher verpfänden, um dich zu bewirten. Nun hörte ich ihn aber fortwährend schreien, dann rezitierte ich diese Verse. – Ich bewunderte die Freigebigkeit dieses Mannes und nahm mir vor, ihn reichlich zu belohnen, verschwieg ihm aber doch den ganzen Abend meinen Stand und unterhielt mich mit ihm über Jagd und Beduinenleben, bis der Schlaf unsere Augen schloß. Am folgenden Morgen rückten die Truppen, welche mich auf die Jagd begleitet hatten, heran; mein Wirt wollte seine Leute zusammenziehen, um nicht von irgend einem Feind überfallen zu werden. Da sagte ich ihm: Bleibe nur ruhig in deinem Zelt, diese Truppen gehorchen mir; ich bin der König von
Weitere Kostenlose Bücher